Alle Wege führen nach Ponary

Boston 2001-02

Alle Wege führen nach Ponary,
von Ponary fort kein einziger.
Vater ist verschwunden, und mit ihm,
ist das ganze Licht gegangen.

Sharyahu (Szmerke) Kaczerginski, Wilna, April 1943

Ein erschreckend latentes Schicksal verbindet die, auf dem Höhepunkt der Liquidation des Wilnaer Ghettos geschriebenen Worte des aus Wilna stammenden jiddischen Poeten Szmerke Kaczerginski, mit dem Schicksal des Künstlers Samuel Bak. Ihr eigentliches Zusammentreffen ereignete sich am Abend des 28. März 1943, bei der Eröffnung einer Ausstellung Wilnaer Künstler, in welcher auch Kunstwerke des neunjährigen Kindes Bak gezeigt wurden.

Im Mai 2001 betritt Bak erstmalig nach 65 Jahren wieder den Boden von Wilna. Dieser Besuch führt zu einem großen Bilderzyklus, der in frischen Farben seine wieder gewonnene Fähigkeit spiegelt, die Stadt so darzustellen, wie sie in den frohen Jahren seiner Kindheit gewesen war, im totalen Gegensatz zu den schwelenden Ruinen von Wilna, die er im Sommer 1944 verlassen hatte. Und doch, trotz der herzerwärmenden Farben, sind die Straßen bevölkert von Tassen und Untertassen, welche die aus ihren Häusern vertriebenen und in den Tod geschickten Juden dieser Stadt repräsentieren. Die Dichotomie zwischen der Sehnsucht nach einer Stadt, wie sie einstmals war, und dem Schmerz des Verlustes, charakterisiert diesen Bilderzyklus.

Die Rückkehr nach Wilna war gezwungenermaßen auch eine Rückkehr zu der Hinrichtungsstätte im Wald von Ponary, am Rand der Stadt. Die siebzigtausend Juden aus Wilna, Frauen und Kinder eingeschlossen, wurden kaltblütig von den Nazis und ihren litauischen Gefolgsmännern ermordet. Samuels Großvater, Großmutter und Vater erlagen diesem Schrecken. Ihre sterblichen Überreste wurden in diesem schrecklichen Massengrab zurückgelassen. Bak kann und will nicht akzeptieren, dass dort in Ponary die inhärenten Gesetze der Natur auf diese Art und Weise durch und durch verletzt wurden. Die Bäume im Flug über die Mordgrube hinweg sind ebenso phantastisch, wie die Grabsteine. Weder das eine noch das andere ist im Boden der Realität verankert, sondern existiert nur im Reich der Zeichnung, im emotionalen Bereich des Künstlers.