Olympische Turnerinnen wurden im Holocaust ermordet

1928 waren die Niederlande Gastgeber der Olympischen Spiele in Amsterdam. Zum ersten Mal durften damals Frauen in der Disziplin des Turnens antreten. Fünf Frauen der niederländischen Olympia-Turnmannschaft waren Jüdinnen: Helena-Lea Nordheim, Ans Polak, Estella-Stella Agsteribbe, Judikje-Judik Simons und Elka de Levie. Auch der Trainer der Mannschaft, Gerrit Kleerekoper, war jüdisch. Das Team gewann die Goldmedaille im Frauenturnen bei den Olympischen Spielen in Amsterdam, und machte die Frauen über nacht zu Nationalheldinnen.

Presseausschnitte von den Olympischen Spielen in Amsterdam lobten die Leistung der Frauen:

„Alles wurde bis ins Detail bestens ausgeführt. Schöne Übungen - nicht zu schwer - logisch komponiert, sauber ausgeführt, wunderbare Anordnung und Führung, in einem Wort: erhaben. (… ) Auch die Jury war begeistert und zeichnete das Kleerekoper Team mit einer Gesamtpunktzahl von 316,75 Punkten aus und so ließ es die anderen Mannschaften weit hinter sich. Mit ihrem verdienten Erfolg waren die Turnerinnen die ersten weiblichen Olympiasieger in den Niederlanden. Um Viertel nach fünf flatterte die niederländische Flagge über dem Olympiastadion und die Nationalhymne ertönte. Der Jubel stieg an, als Prinz Hendrik vortrat und jeder Teilnehmerin die Hand reichte. (…) dann verschwanden sie, unsere Damen, denen wir den ersten Sieg verdanken, unter der Tribüne in ihre Umkleidekabinen."

Im Mai 1940 besetzte Deutschland die Niederlande. Leah, Estella und Elka trainierten im 1902 gegründeten Sportverein „Bato" in Amsterdam, der zu den größten jüdischen Sportvereinen der Stadt zählte. Im September 1941 untersagten die Deutschen offiziell allen Juden sportliche Aktivitäten. Doch auch nach der Schließung des Vereins trainierten Juden bis 1942 illegal weiter. Ab Sommer 1942 wurden die niederländischen Juden zum angeblichen Arbeitseinsatz in den Osten deportiert. Unter den Deportierten befanden sich vier Frauen aus der Turnmannschaft, die die Niederlande bei den Olympischen Spielen in Amsterdam vertreten hatte, und ihr Trainer. Die Frauen waren bereits in ihren Dreißigern, verheiratet und hatten Kinder.

Judikje Simons heiratete 1935 Bernard Solomon Themans und gebar zwei Kinder, Sonja (geb. 1937) und Leon (geb. 1940). Sie lebten in Utrecht, wo sie das Waisenhaus der jüdischen Gemeinde leiteten. Mit Kriegsbeginn zogen sie zusammen mit den Kindern und dem Personal nach Amsterdam. Obwohl sie vor ihrer Verhaftung gewarnt wurden, blieben sie im Waisenhaus, um die Kinder nicht alleine zu lassen. Anfang Februar 1943 wurden sie festgenommen und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Am 17. März 1943 verließ ein Deportationszug Westerbork und traf drei Tage später im Vernichtungslager Sobibor ein. Unter den Deportierten befanden sich Judikje Themans, ihr Mann Bernard und ihre Kinder, die fünfjährige Sonja und der dreijährige Leon. Neben Judikje und Bernard wurden alle Kinder und Mitarbeiter des Waisenhauses deportiert, darunter auch 30 aus Deutschland eingetroffene Kinder. Abgesehen von einer Person wurden alle Deportierten ermordet. Von den insgesamt 34.000 Juden, die im Frühjahr 1943 aus den Niederlanden nach Sobibor deportiert wurden, überlebten nur 19.

Helena Nordheim heiratete Abraham Kloot und 1933 wurde ihre Tochter Rebecca geboren. Lea und Abraham waren beide Friseure. 1943 wurden sie verhaftet und nach Westerbork gebracht. Am 29. Juni 1943 verließ ein Deportationszug Westerbork und erreichte drei Tage später Sobibor. Zu den Deportierten gehörten Helena Kloot, ihr Mann und ihre zehnjährige Tochter, sowie Gerrit Kleerekoper, seine Frau Kaatje und ihre 14-jährige Tochter Elizabeth. Sie wurden alle ermordet. Es gab keine Überlebenden dieser Deportation. Gerrits und Kaatjes Sohn Leendert wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

1936 heiratete Anna-Ans Polak den Schneider Barend Dresden und ein Jahr später wurde in Amsterdam ihre einzige Tochter Eva geboren. Im Mai 1943 wurde die Familie verhaftet und in das Konzentrationslager Vught in den Niederlanden gebracht. Etwa einen Monat später wurden Anna und Eva nach Westerbork verlegt. Am 20. Juli 1943 verließ ein Deportationszug Westerbork und erreichte drei Tage später Sobibor. Unter den Deportierten waren Anna Dresden und ihre sechsjährige Tochter Eva. Sie wurden beide ermordet. Es gab keine Überlebenden dieser Deportation. Annas Ehemann Barend wurde am 15. Dezember 1943 von Vught nach Auschwitz deportiert. Er überlebte die Selektion und wurde in Auschwitz III Buna-Monowitz zur Zwangsarbeit geschickt. Am 30. November 1944 wurde Barend in Auschwitz ermordet.

Estella Agsteribbe heiratete Shmuel Blits, der mit ihr im Sportverein „Bato" in Amsterdam trainierte. Schmuel verdiente seinen Lebensunterhalt als Diamantenschleifer. Ende Juli 1943 wurden sie in Amsterdam festgenommen und in das Konzentrationslager Vught deportiert. Etwa fünf Wochen später wurden sie nach Westerbork verlegt. Am 14. September 1943 verließ ein Deportationszug Westerbork und traf zwei Tage später in Auschwitz ein. Unter den Deportierten waren Estella Blits, ihr Ehemann Shmuel, ihre sechsjährige Tochter Nanny und ihr zweijähriger Sohn Alfred. Estella und die Kinder wurden sofort nach ihrer Ankunft ermordet. Shmuel überlebte die erste Selektion, wurde aber im April 1944 ermordet. Ein seltenes Videomaterial ist erhalten geblieben, in dem Estella 1932 in Amsterdam bei einem Wettbewerb im Barrenturnen teilnahm. Das Filmmaterial ist Teil dieser Ausstellung.

Elka de Levie konnte sich dem tragischen Schicksal ihrer jüdischen Turngenossinnen entziehen und überlebte in den Niederlanden. Sie starb 1979 in Amsterdam.