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Die Stadt Bühl schätzt und erforscht den jüdischen Teil ihrer Geschichte

  1. Stadt Bühl Hrsg.: Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl.
    Bühler Heimatgeschichte Bd. 15/2001. Bühl 2001

Martin Bürkle

Bühl ist eine 28.500 Einwohner zählende badische Stadt zwischen Rhein und Schwarzwald und liegt nur wenige Kilometer von der französischen Grenze und Baden-Baden entfernt. Bekannt geworden durch die „Bühler Zwetschge“ und den Weinbau, hat sich Bühl heute zu einem pulsierenden Mittelzentrum entwickelt. Leben und Wohlstand der Region basieren auf einer starken Wirtschaft, mit über 20.000 Arbeitsplätzen, darunter auch weltweit tätige Unternehmen.

Die Menschen unserer Region sind sehr an der Geschichte ihrer Stadt interessiert und haben vor etwa 25 Jahren auch mit der aktiven Aufarbeitung der jüdischen Geschichte Bühls begonnen.

Vom „Schutzjuden“ zum Gemeindebürger

Für das Jahr 1582 ist erstmals die Anwesenheit von Juden in Bühl schriftlich überliefert. Die ersten Jahrhunderte der jüdischen Gemeinde in Bühl lassen sich am besten als dauerndes Auf und Ab bezeichnen.

Nur wenige der ansässigen jüdischen Familien konnten sich durch ihre Arbeit in den landesherrlich festgelegten Berufen ernähren. So berichtete der badische Amtmann: „Sie leben so miserabel, dass ihre Weiber und Kinder gleichsam herumgehen wie die Geister.“ Trotz dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten entwickelte sich die Infrastruktur der jüdischen Gemeinde. Seit spätestens 1723 besaß die jüdische Gemeinde einen Betsaal im obersten Stockwerk eines Privathauses, seit 1770 finanzierte die Gemeinde ein eigenes Spital für erkrankte arme Glaubensgenossen und seit 1774 wurde in einer „Juden-Wirthschafft“, die später den Namen „König David“ trug, den jüdischen Speisegesetzen folgend, für das leibliche Wohl der einheimischen und insbesondere der durchreisenden jüdischen Bevölkerung gesorgt.

Im 19. Jahrhundert gelang den Angehörigen der jüdischen Gemeinde, unterstützt durch die liberale Gesetzgebung des Großherzogs, eine zunehmende Emanzipation und 1862 die volle bürgerliche Gleichstellung. 1823 wurde eine Synagoge errichtet. Gegen den Willen der christlichen Bevölkerungsmehrheit erhielt die jüdische Gemeinde 1833 einen eigenen Begräbnisplatz auf der abgelegenen Honau. Dieser Emanzipationsprozess erfuhr aber auch Rückschläge, wobei es weniger unerklärliche Ressentiments gegenüber der jüdischen Bevölkerung als vielmehr handfeste wirtschaftliche Interessen waren, die als Gründe für die Auseinandersetzungen anzuführen sind.

Nach 1862 folgte eine Phase der Assimilation. Jüdische Bürger wurden Mitglieder der Bühler Vereine und des Gemeinderats, nahmen am gesellschaftlichen Leben teil und stellten mit dem Fabrikanten Carl Leopold Netter und dem Bezirksrabbiner Dr. Baruch Mayer zwei Bühler Ehrenbürger. Und doch war auch diese Zeit nicht frei von Antisemitismus.

Die jüdische Gemeinde während des Nationalsozialismus

Selbst wenn man in Gesprächen mit älteren Bühlern häufig hört, dass das Verhältnis zu den Bühler Juden in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus noch ohne Probleme gewesen sei, bleibt festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen Christen und Juden schon vor dem Jahr 1933 nicht ohne Spannungen gewesen ist. So gab es z.B. bereits in den Jahren 1923 und 1930 Hakenkreuzschmierereien an der Bühler Synagoge.

In den Zeiten der Emanzipation und Assimilation war der latente Antisemitismus, lediglich zugedeckt, nicht aber verschwunden.

Die Einschränkung und Bedrohung durch staatliche Erlasse, der alltägliche Antisemitismus, die Ausgrenzung und die Schmähung fanden ihren vorläufigen Höhepunkt in der Reichspogromnacht, die - so wird oft beteuert – auch für viele christliche Bühler Bürger ein Schock gewesen sei. Die antijüdische Politik der Nationalsozialisten war somit sichtbar und unstrittig auch in Bühl angelangt.

Von den 72 Juden die in der Volkszählung vom 17. Juni 1933 für Bühl genannt sind, sind uns 65 Personen namentlich bekannt. Von diesen sind bis 1940 18 ins europäische und außereuropäische Ausland ausgewandert. 14 haben Bühl verlassen und sind in andere deutsche Städte gezogen.

Mit dem 22. Oktober 1940, dem Tag des Laubhüttenfestes, nahte das Ende der Bühler jüdischen Gemeinde. Am frühen Morgen machte man den 26 jüdischen Bürgern, die sich in der überwiegenden Zahl im Meierhof, einem der vielen Judenhäuser Badens aufhielten, unmissverständlich klar, dass sie sich bis in einer Stunde reisefertig machen sollten. Der Gang durch Bühl, zunächst zum Gefängnis, wo sie gesammelt wurden, führte sie zum Güterbahnhof, wo man die 17 Frauen, acht Männer und ein kleines Kind von sechs Jahren in den für die Deportation vorgesehenen Personenzug drängte. Zusammen mit den aus Baden und der Pfalz in insgesamt neun Transportzügen deportierten 6.504 Juden erreichten sie nach dreitägiger Fahrt am 25. Oktober das Internierungslager Gurs in Südfrankreich. Die jüdische Gemeinde, die in Bühl auf eine mehr als 350-jährige Geschichte zurückblicken konnte, hatte mit dem 22. Oktober 1940 aufgehört zu existieren.

Die Reichspogromnacht und die Zerstörung der Synagoge

Bereits in der Nacht des 9. November 1938 und zu Beginn des nächsten Tages wurden jüdische Geschäfte, so z.B. das Schuhhaus Lion, Opfer von Übergriffen. Der Eingang des Geschäfts wurde demoliert, Schuhe lagen auf den Bürgersteigen.

Der Synagoge widmete man sich jedoch erst am 10. November in aller Frühe. Dazu bediente man sich der Person des Friedrich Gißler, eines „alten Kämpfers“ und frühen Mitglieds der SA, der in Bühl die Verteilung des NS-Blattes „Der Stürmer“ und der Tageszeitung „Der Führer“ vornahm. In seinem Vorstrafenregister findet sich eine lange Liste von Eigentumsdelikten, Schändungen von Friedhöfen und Friedhofskapellen und auch eine Verurteilung wegen einer Sachbeschädigung in der Bühler Synagoge.

Gißler ging am Morgen des 10. November, nachdem er seine Arbeit als Zeitungsausträger beendet hatte, zur Synagoge, vor der sich nach seinen Aussagen bereits etwa 30 Personen, drinnen etwa noch mal 20 Personen, befanden. Sie trugen Sachen aus der Synagoge heraus, häuften sie auf dem Platz vor der Synagoge auf und steckten sie in Brand. Im Innern der Synagoge herrschte völliges Chaos. Alles lag durcheinander, die Bänke waren umgestürzt, die darin befindlichen Pulte aufgerissen, die Gebetbücher herausgenommen und auf dem ganzen Boden verteilt. Selbst auf der Empore sollen sich Leute befunden haben. Später warf man das dort befindliche Harmonium herunter. Um 9 Uhr soll Friedrich Gißler im linken vorderen Teil der Synagoge dann das Feuer gelegt haben. Gißler zog weiter zum Haus des Kantors Bruchsaler in den jüdischen Meierhof und unterstützte die dort bereits tätigen Personen aktiv bei der Verwüstung der Wohnung. Danach kehrte er erneut zu der nur wenige Meter entfernten Synagoge zurück und schleuderte von einer an der Seitenwand aufgestellten Leiter mit Benzin oder Petroleum gefüllte Flaschen ins Innere der Synagoge, um den Brand zu beschleunigen.

Als um 10 Uhr die Feuerwehr an der Brandstelle eintraf, mit dem Befehl, nur angrenzende Gebäude löschen zu dürfen, war nach ihrer Auffassung das Gebäude nicht mehr zu retten. Gegen 12 Uhr war die Synagoge vollständig ausgebrannt. Auch wenn im Jahr 1947 nur gegen Gißler und zwei weitere Mittäter, den Kreiskassenleiter der NSDAP, Hans Ringwald, und den Kreisamtsleiter der NSV, Eduard Börner, ermittelt wurde, ist anzunehmen, dass ihnen eine große Zahl nicht namentlich genannter Mittäter und Mitwisser geholfen oder ihnen doch zumindest moralisch den Rücken gestärkt hatte.

Von dieser Brandstiftung besitzt das Stadtgeschichtliche Institut Bühl als beklemmendes Zeitzeugnis die zeitgenössische Filmaufnahme eines NSDAP Mitgliedes und Hobbyfilmers.

Der Bühler Synagogenbrandfilm ist mittlerweile zum medialen Synonym für die Vorgänge und das Unrecht der Reichspogromnacht avanciert und stellt einen wichtigen Mosaikstein im Bemühen der Stadt Bühl und des Stadtgeschichtlichen Instituts in der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte dar.

Dr. Ehud Loeb, der als Vierjähriger die Brandstiftung und die Ausschreitungen erlebt hat und als Sechsjähriger zusammen mit seiner Familie nach Gurs deportiert wurde, kann sich noch gut an diese Zeit erinnern.

Sein Schicksal steht exemplarisch für das der Bühler Juden und Jüdinnen.

Als Herbert Odenheimer wurde er 1934 in Bühl geboren. Seine Familie wurde in Gurs und Auschwitz ermordet. Er überlebte, weil mutige Menschen in Frankreich sich seiner annahmen, ihn versteckten und ernährten. Er lebt seit 1958 in Israel und trägt heute den Namen Ehud Loeb.

Erst 2007 kehrte er erstmals in seine Geburtsstadt zurück. Seither ist ein intensiver Kontakt zwischen Ehud Loeb und der Stadt Bühl entstanden, mit zahlreichen persönlichen und freundschaftlichen Verbindungen.

Umbenennung der Hindenburgstraße

Im Frühjahr 2013 befasste sich der Gemeinderat der Stadt Bühl mit der Umbenennung der bisherigen Hindenburgstraße. In einer Sitzung, die alle Teilnehmer als „Sternstunde“ der Bühler Gemeindepolitik erlebt haben, beschloss der Gemeinderat die Umbenennung in Herbert-Odenheimer-Straße, um so an die ehemalige jüdische Gemeinde und deren Familien zu erinnern, die seit Generationen in Bühl lebten und im Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. In einfühlsamen und fundierten Beiträgen wurde die Zustimmung zum neuen Straßennamen begründet.

Die Zustimmung von Ehud Loeb zur Verwendung seines Namens, war nicht ganz einfach zu erhalten. In der ihm eigenen Bescheidenheit und Besonnenheit benötigte er eine konstruktive Bedenkzeit. Letztendlich war für ihn entscheidend, dass mit der Ehrung des in Bühl letztgeborenen Kindes der jüdischen Gemeinde auch an die christlichen Familien in Frankreich erinnert wird, die das kleine Kind gerettet hatten und mit ihrem Mut seine Ermordung verhinderten.

In einem würdigen und bewegenden Festakt wurde die Straße am 6. September 2013 umbenannt.

Vor einem zahlreich erschienenen Publikum sprach Oberbürgermeister Schnurr in seiner Rede von einem historischen Augenblick für Bühl und hob hervor, dass mit der Straßenumbenennung auch ein Freund geehrt werden soll, der sich um das friedvolle Miteinander mit den Einwohnern seiner Geburtsstadt wirklich verdient gemacht hat.

Ehud Loeb war mit seiner Frau Shoshanna und seinen Kindern Hillel Loeb sowie Naomi Leshem zu den Feierlichkeiten in seine Geburtsstadt gekommen und zeigte sich tief bewegt von der Ehre, die durch diese Namensgebung den früheren jüdischen Bürgern erwiesen wird und die er stellvertretend für sie empfangen durfte. Als letztgeborenes Kind der jüdischen Gemeinde sieht er in der Straßenumbenennung einen sinnbildlichen Akt der Erinnerung.

Bausteine der Erinnerung

Der neue Straßenname „Herbert-Odenheimer-Straße“ ist ein weiterer Baustein, der das jüdische Leben in Bühl ins Gedächtnis der heutigen Generationen bringen soll. In den vergangenen drei Jahrzehnten gab es verschiedene Initiativen zur Vermittlung dieses Themas.

Nachdem 1983 ein Denkmal am Platz der Synagoge eingeweiht worden war, erschien als erste Publikation im Jahr 1986 ein schmales Heftchen „Juden in Bühl“, das wir aus der heutigen Sicht selbstverständlich als unzureichenden ersten Versuch werten müssen. Auch die ein Jahr zuvor erschienene Studentenarbeit über den „Bühler Judenfriedhof“ genügt bei weitem nicht mehr unseren heutigen Ansprüchen. Ganz andere Qualität hat aber die im Jahr 1992 erschienene Arbeit von Wilfried Lienhard über das „Dritte Reich“ und seine Auswirkungen in Bühl, die das Stadtgeschichtliche Institut betreut und herausgegeben hat. Mit ihr setzte eine intensive Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ ein, die durch Vorträge, Ausstellungen und Exkursionen unterstützt wurde. Mit Frau Monika Preuß konnte bald darauf eine Bearbeiterin für die Inventarisation des jüdischen Friedhofes gewonnen werden, deren Arbeit ebenfalls 1992 in einer kleinen Auflage vom Stadtgeschichtlichen Institut herausgegeben wurde. Nachdem 1993 die Realschule nach dem Bühler jüdischen Ehrenbürger Carl Leopold Netter benannt wurde, konnte die Stadt Bühl 1999 den zweiten Band ihrer Stadtgeschichte, etwa 600 Seiten für die Zeit 1848 – 1973, herausgeben, in der auch intensiv über die Zeit des „Dritten Reiches“ und die Auswirkungen auf die jüdische Gemeinde berichtet wird.

Im Jahre 2000 wurde in Bühl eine große Ausstellung „Jüdisches Leben“ im Güterbahnhof gezeigt, zu der innerhalb von nur drei Wochen 5.500 Besucher begrüßt werden konnten. Das Rahmenprogramm, das ca. 30 Veranstaltungen während der nächsten zwölf Monate umfasste, zog mit seinen Vorträgen, Exkursionen und Diskussionsveranstaltungen noch einmal 5.000 Teilnehmer an. Zu der Ausstellung erschien, leider erst im Jahr 2001, ein eigener Band „Jüdisches Leben“, in dem von mehreren Autoren die Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihrer Einrichtungen minutiös nachgezeichnet wird und den man auch heute noch als Grundlagenband zur jüdischen Geschichte Bühls bezeichnen kann.1 An der Stelle der mittlerweile abgerissenen Halle, von der aus 1940 die jüdischen Bürger deportiert worden waren, wurde im Jahr 2005 ein Mahnmal mit den Namen der 26 deportierten Personen errichtet.

Auch Jahre nach der Ausstellung kamen noch häufig Schulklassen und Erwachsenengruppen mit dem Wunsch auf das Stadtgeschichtliche Institut zu, auf jüdischen Spuren durch Bühl zu wandern oder aber den jüdischen Friedhof zu besuchen. Seit 2008 ist dies auf einem ausgeschilderten Rundgang „Auf jüdischen Spuren“ möglich. Ein gedruckter Flyer stellt die einstigen Standorte der jüdischen Einrichtungen und deren Bedeutung für die Gemeinde vor und vermittelt Wissenswertes zu den Gemeindemitgliedern.

Das Stadtmuseum Bühl ist für seine besondere, museumspädagogische Ausrichtung bekannt. Seit 2013 gibt es dort eine „Religionsgeschichte“, die einen besonderen Schwerpunkt zur jüdischen Religion setzt. Anschauliche Exponate, übersichtliche Texttafeln sowie das multimedial aufbereitete Memorbuch der Bühler jüdischen Gemeinde machen den Besuch zu einem kurzweiligen und spannenden Erlebnis für Jung und Alt.

Als nächstes Projekt ist für 2014 die Herausgabe eines „Jüdischen Familienbuches“ für Bühl geplant, das mit Spannung erwartet wird.

Weitere Informationen können beim Stadtgeschichtlichen Institut der Stadt Bühl, Otto-Stemmler-Straße 6, D-77815 Bühl, Tel. 0049-(0)7223-940 876 angefordert werden.

Literatur:

  • Die Große Kreisstadt Bühl (Hg.): Juden in Bühl, Beitrag zu einer Monographie XXXII/1986, Bühl 1986.
  • Michael Rumpf: Bühler Judenfriedhof, Beitrag zu einer Monographie XXXI/1985, Bühl 1985.
  • Wilfried Lienhard: Die Stadt Bühl in der Zeit des Nationalsozialismus, Freiburg 1992.
  • Monika Preuß: Der Jüdische Friedhof Bühl. Eine Dokumentation, Heidelberg 1999.
  • Stadt Bühl (Hg.): Geschichte der Stadt Bühl 1848-1973, Bühl 1999.
  • Stadt Bühl (Hg.): Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl, Bühler Heimatgeschichte Bd. 15/2001, Bühl 2001.

 

Martin Bürkle arbeitet für die Stadt Bühl und ist der Leiter des Fachbereiches Bürgerservice, Recht und Zentrale Dienste.