Das Auschwitz Album
Die folgenden Bilder zeigen Fotografien aus dem sogenannten „Auschwitz Album“. Dieses Album enthält rund 200 Fotos, welche die Ankunft eines jüdischen Transports aus Ungarn im Mai 1944 zeigen.
Die Fotos dokumentieren den Prozess, den die Opfer vom Verlassen der Waggons an durchliefen – die Selektion und Verurteilung zum Tode und schließlich das Plündern ihres Eigentums. Obgleich die Ermordung selbst nicht fotografiert wurde, zeigen mehrere Fotos die Lastwagen, die all jene in die Gaskammern transportierten, die nicht mehr gehen konnten. Auf anderen Bildern sind Frauen und Kinder zu sehen, die in einem nahegelegenen Wäldchen sitzen und darauf warten, ermordet zu werden. Die Fotos zeigen auch die Schornsteine des Krematoriums. Dies sind die einzigen uns vorliegenden Fotos, die Schritt für Schritt die Phasen dokumentieren, die der Ermordung der Opfer in Birkenau vorausgingen und einen einzigen Tag in der systematischen Vernichtung von Juden und Jüdinnen in Auschwitz wiedergeben.
Die Geschichte von Lili Jacob
Mit dem Album verbindet sich auch die persönliche Geschichte von Lili Jacob-Zelmanovic Meier.
Lili Jacob wurde am 16.Januar 1926 in Bilke (Slowakei) geboren. 1939 wurde dieses Gebiet von Ungarn annektiert. Im April 1944 wurden die Juden aus Bilke in das Ghetto Berohovo gebracht. In insgesamt vier Transporten wurden die dort lebenden Juden kurze Zeit später nach Auschwitz-Birkenau geschickt.
Am 24. Mai 1944 wurde Lili Jacob mit ihrer Familie nach Birkenau deportiert und traf dort am 26. Mai 1944 ein. Lili Jacob war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt. Lili überlebte Auschwitz als einzige ihrer Großfamilie (sie hatte insgesamt sechs Geschwister). Seit Ende Dezember wurde sie in verschiedene Nebenlager gebracht, das Kriegsende erlebte sie im KZ Dora Mittelbau bei Nordhausen in Thüringen. In den letzten Tagen vor der Befreiung erkrankte sie an Typhus. Lili Jacob überlebte dank der Bemühungen von zwei tschechischen Ärzten. Am 9.April 1945 wurde das KZ von den US-Streitkräften befreit. Lili lag an diesem Tag im Krankenrevier für Häftlinge. Als sie nach draußen ging um die Befreiung des Lagers mit anzusehen, brach sie allerdings zusammen und wurde von einigen Mithäftlingen in eine verlassene SSKaserne getragen. Als sie wieder zu sich kam, begann sie nach warmer Kleidung zu suchen. Sie öffnete die Schublade einer Kommode und entdeckte dort ein Fotoalbum.
Als sie das Album öffnete blickte sie auf das Foto des Rabbiners von Bilke Naftali Zvi Weiss. Sie erkannte sich selbst, ihre Familie, Bekannte usw. auf den Fotos.
Wie sich herausstellte, hatten die Deutschen in dem Album einen Transport ungarischer Juden dokumentiert, der im Mai 1944 im Lager eintraf. Zu den Deportierten zählten auch Lili und ihre Familie.
Aus dem Tagebuch von Stanislaw Adler über Hunger und Tod im Warschauer Ghetto und den Bemühungen des Judenrates dagegen
In der 'Periode der Normalisierung', erhielten die Ghettobewohner ein halbes Kilogramm Brot pro Woche auf ihren Lebensmittelkarten. Fleisch oder Fett in irgendwelcher Form wurde überhaupt nicht verteilt. Es gab unregelmäßige Ausgaben von Zucker mit nie mehr als 100 Gramm pro Person pro Monat. Für etwa zwei Jahre gab es einige wenige Gelegenheiten, bei denen jeder Bewohner ein Ei bekam. Seit Mitte des Jahres 1941 gab es für jeweils vier Personen ein Kilogramm im Ghetto produzierten ‘Honig’. Zu Beginn wurde er aus Molasse gemacht, später wurde der Zucker zum Teil aus Kartoffelstärke gemacht. Ungefähr einmal im Monat wurde 1/4 Kilogramm Marmelade pro Person zugeteilt. Und das war alles, wenn wir nicht die sporadischen Verteilungen von Salz aus eingelegter roter Beete, Sauerkraut und andere Dinge in der Sommerzeit mitzählen, wahrscheinlich von Beständen, die anderswo nicht verkauft werden konnten.
Es ist offensichtlich, dass die Menschen, die ausschließlich mit den Essensrationen versorgt wurden, in kürzester Zeit sterben würden. Suppenküchen wurden organisiert, um Zehntausenden von verhungernden Menschen zu helfen. Sie boten täglich einen Teller Suppe an und eine Ration schwarzen Kaffees, der mit Saccharin gesüßt wurde. Die Suppe war ein wässriges Gemisch von Rüben und Möhren oder eingelegter roter Beete, in besonderen Fällen auch Kartoffeln. Manchmal schwamm ein kleines bisschen Roggenspagetti in der Suppe. Ein Fettauge war eine ungewöhnliche Seltenheit. Im Sommer 1941 erhielt der Judenrat eine beträchtliche Lieferung an Hafer, sodass es den Suppenküchen für einige Monate möglich wurde, einen Haferbrei herzustellen, als Ergänzung zur üblichen Ernährung der Menschen.
Mit solchen zusätzlichen Vorräten bekam jeder menschliche Körper ein paar hundert Kalorien. Diese Leistung war das Ergebnis der anstrengenden Bemühungen der Gemeinschaft des Ghettos so wie auch der jüdischen Verwaltung und Wohlfahrtsorganisation, um Todesfälle durch Verhungern zu verringern.
Stanislaw Adler, In the Warsaw Ghetto 1940-1943. An Account of a Witness, Yad Vashem, Jerusalem 1982, S. 78-81. [übersetzt aus dem Englischen]
Aus dem Tagebuch von Josef Zelkowicz über Hunger und Tod im Ghetto Lodz
...Das Gesundheitsamt hat zusammen mit der Küchenstelle beschlossen, dass alle Küchenverwalter jegliche Gemüseschalen aufbewahren müssen, und dass diese nur auf Rezept eines Arztes ausgegeben werden dürfen.
Entsprechend dieser Direktive müssen Kartoffelschalen wie folgt ausgegeben werden:
Der Arzt muss eine bestimmte Menge Kartoffelschalen verschreiben. Der Patient geht mit diesem Rezept zur Küchenstelle, wo er an diejenige Küche verwiesen wird, bei der er sein Rezept einlösen kann. Wie für die Rezepte bezahlt werden soll – nach Menge oder pro Rezept – ist noch nicht entschieden.
So wurden also nun Kartoffelschalen mit Ärzten assoziiert und die Küchenstelle mit medizinischen Verschreibungen.
In den letzten Wochen gab es eine schreckliche Hungersnot im Ghetto. In dieser kurzen Zeit sind Tausende verhungert und weiteren Tausenden wird es vermutlich noch so ergehen. Die einfachen Leute im Ghetto müssen viele verschiedene Wege gehen, bis sie ein schonungsloser Tod schließlich am Laufen hindert.
Der Tod malt groteske Bilder auf die Gesichter der Opfer, bevor er sie vom Antlitz der Erde wischt.
Schatten, die einmal Menschen waren, bewegen sich durch die Straßen des Ghettos.
Alles was von diesen Menschen übrigbleibt sind eingesunkene Gesichter, schwarz und grau; ihre Augen haben ein seltsames Flackern. Normalerweise sieht man solche Augen nur bei hungernden Wölfen in harten Winternächten in dichten Wäldern.
Ein Mann geht vorbei, mit flackernden Augen, fiebriger Seele und einen Herzen, dass so voller Last ist, dass nicht einmal ein Schraubzwinge es davon befreien kann. Er fühlt sich als ob ein Tier in ihm ist, dass unablässig mit seinem zahnlosen Mund an seinen Eingeweiden zerrt....
Josef Zelkowicz, In Those Terrible Days. Notes from the Lodz Ghetto, Yad Vashem, Jerusalem 2002, S. 193–197. [übersetzt aus dem Englischen]
Ausschnitt aus dem Buch: Die Tochter, die wir uns immer gewünscht haben. Die Geschichte von Marta
„Martusch, wir müssen uns trennen.“
„Was?“ Ich sprang auf, als ob mich eine Schlange gebissen hätte und stand auf der Matratze. Mutter richtete sich auf und nahm sanft meine Hände. Ich setzte mich zu ihr. „Die Lage wird von Tag zu Tag schlimmer“, sagte Mutter, während sie meine Hand streichelte. „Es sind schon kaum mehr Juden übrig geblieben im Ghetto. Die Deutschen haben Tschortkov für 'judenrein' erklärt und jeder Jude, den sie erwischen, wird zum Tode verurteilt.“ (...) „Wohin?“ „Nach Warschau.“ (...)
Während der nächsten sechs Tage übte ich meine neue Identität ein: Mein Name ist Krystyna Gryniewicz – aber alle nennen mich Kryschia. Ich wurde auf dem Lande geboren, bin katholisch, gehe jeden Sonntag zur Kirche und weiß, wie man betet.
Anna Schultz, die Schwester meines Vaters, lebt mit ihrer Familie in Warschau.
Meine Mutter ist krank und kann sich nicht um mich kümmern. Weil ich eine begabte Schülerin bin und die Dorfschule seit Kriegsausbruch geschlossen ist, haben meine Tante Anna und Onkel Joseph sich einverstanden erklärt, dass ich bei ihnen in Warschau leben und die gute Schule, die es in der Stadt gibt, besuchen kann.
(...)
Das war’s. Ich löschte Marta aus und wurde durch und durch Kryschia. Sonntags ging ich mit der ganzen Familie in die Kirche. (...) Ich, Krystyna Gryniewicz, beschloss, allen zu zeigen, was für eine fromme Katholikin ich war. Ich kniete am Eingang der Kirche nieder und rutschte auf meinen Knien den ganzen Weg nach vorne zum Altar. (...)
Einige Tage später, während Frau Czaplinska [das Kindermädchen] mir das Haar kämmte, sagte ich, ich hätte das Gefühl, als wären Anna und Joseph Schultz meine Eltern und ich würde auch nach dem Krieg eine Christin bleiben. Ich sagte auch nach, was die Kinder im Hof gesagt hatten: „Gut, dass es keine Juden mehr gibt.“ Das war ein Fehler. Frau Czaplinska zog mich am Haar und drehte mein Gesicht zu ihr. In der rechten Hand hielt sie meine Wange und mit ihrer linken Hand die Haarbürste, während sie mit lauter Stimme drohte: „Wage es nicht, das noch einmal zu sagen.
Hörst du? Wir haben deiner Mutter versprochen, dass wir auf dich aufpassen werden und dass du ein normales Mädchen bleibst. Du hast eine Mutter, du bist Jüdin und alles andere ist nur Verstellung. Ist das klar?!“ Sie ließ von meinem Gesicht ab, drehte meinen Kopf zurück und fuhr fort, mit sehr groben Strichen mein Haar zu kämmen.
Naomi Morgenstern, Die Tochter, die wir uns immer gewünscht haben. Die Geschichte von Marta, hrsg. von Yad Vashem-International School for Holocaust Studies, Jerusalem 2008, S. 30ff.
Ausschnitt aus dem Buch: Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling. Die Geschichte von Hannah Gofrith
In Warschau wusste niemand, dass Mama und ich Juden waren. Wir lebten in der Zelesna Straße, im Haus mit der Nummer 64. Dort wohnte im 6. Stock die Familie Skovronek, die uns das Versteck ermöglichte. (...)
In dieser Wohnung blieben wir zwei Jahre lang versteckt.
Zwei Jahre lang verließ ich nie das Gebäude.
Zwei Jahre lang bewegte ich mich nicht frei in der Wohnung.
Zwei Jahre lang kam ich nicht in die Nähe eines Fensters. (…)
Zwei Jahre lang konnten Hanka und Bascha [die Kinder der Familie] keine Freunde
mit nach Hause bringen. Niemand durfte wissen, dass wir in der Wohnung waren.
Das war unser Geheimnis. Dabei ging es um Leben und Tod.
(…) ich sprach kaum noch, um nur niemanden zu stören oder im Weg zu sein.
Naomi Morgenstern, Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling. Die Geschichte von Hannah Gofrith, hrsg. von. Yad Vashem-International School for Holocaust Studies, Jerusalem 2000, S. 24.
Aus dem Zeugnis von Marila Sperling
In Plaszow fanden wir einen benutzten Lippenstift, er war aufgebraucht, aber es bleibt ja immer unten ein kleiner Rest, und den haben wir aufgerieben. Wir nahmen ein kleines Stückchen Plastikfolie, strichen den Rest darauf und falteten es zusammen. Jedesmal, wenn wir von einem Lager in ein anderes wechselten, bei jeder drohenden Selektion und bei jeder tatsächlichen Selektion, nahmen wir ein kleines bisschen von der Plastikfolie und strichen davon ganz zart auf unsere Wangen. Wir trugen sehr wenig auf, damit sie nicht dächten, wir wären krank und hätten Fieber. Die Plastikfolie war klein genug, um sie zwischen den Fingern zu verstecken, ohne dass sie entdeckt wurde.
Yehudit Inbar (Hg.), Spots of Light. To Be a Woman in the Holocaust, Yad Vashem, Jerusalem 2007, S. 82. [übersetzt aus dem Hebräischen]
Hintergrundinformationen
Der „Stroop-Report“ von 1943
Am 18. April 1943, während der Deportation der letzten in Warschau verbliebenen Juden widersetzten sich einige Bewohner des jüdischen Ghettos in Warschau den deutschen Besatzern und begannen sich mit Waffengewalt zur Wehr zu setzen. Der deutsche SSKommandant Jürgen Stroop rückte daraufhin mit seinen Truppen am 19. April 1943 mit drei Geschützen und drei Panzerwagen in das Ghetto ein, musste sich jedoch aufgrund des starken Widerstandes bald zurückziehen. Mehr als einen Monat dauerten die Kämpfe, in denen die Deutschen das Ghetto Haus für Haus eroberten. Sie sprengten die Häuser oder setzten diese in Brand. Am 16. Mai meldete Stroop nach Berlin: „Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr (…) Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56 065.“
Als Nachweis der erfolgreichen Niederschlagung des Aufstandes ließ Stroop einen Bericht anfertigen, der an höhere Dienststellen versandt wurde. Dieser heute unter dem Namen „Stroop-Report“ bekannte Bericht von 1943 trug den zynischen Titel „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“. Er enthielt Listen mit Namen von gefallenen SSMännern, den während der Niederschlagung ausgegebenen Befehlen und Berichten sowie aus einer umfangreichen Fotosammlung, die Stroop zur Dokumentation des militärischen Sieges der Deutschen anfertigen ließ.
Diese Fotos wurden mit Hilfe von Bildunterschriften mit einer eindeutigen Bedeutung versehen und auf diese Weise in das nationalsozialistische Gesamtnarrativ des Albums eingepasst, um als Trophäe und Beleg für den erfolgreichen Kampf gegen die Juden im Ghetto zu dienen. Die Nazis bildeten aber nicht nur die gefangenen Juden ab, die in den Bildunterschriften oft als „Banditen“ bezeichnet wurden, sondern sie zeigten auch sich, beispielsweise ist auf einem Bild Stroop selbst zu sehen.
Fotos von befreiten Häftlingen aus Buchenwald
Das Konzentrationslager Buchenwald wurde 1945 von Angehörigen der US-amerikanischen Truppen befreit. Das Lager war zunächst für sozialdemokratische und kommunistische Oppositionelle errichtet worden. Nach dem „Anschluss“ Österreichs und dem Novemberpogrom 1938 wurden aber auch zahlreiche männliche Juden in das Lager gebracht, von denen die meisten wieder entlassen wurden, bevor sie dann, sofern ihnen nicht die Flucht aus Deutschland gelang, erneut deportiert wurden, dieses Mal in die Vernichtungslager. Am Ende des Krieges befanden sich jedoch erneut zahlreiche jüdische Häftlinge aus vielen Ländern Europas im Lager Buchenwald, die im Zuge der sogenannten Todesmärsche hierher gebracht wurden. Ähnlich wie in anderen Lagern, herrschten auch in Buchenwald neben dem Terror der Wachmannschaften bei Kriegsende Hunger und Krankheiten. So fanden die Amerikaner viele Häftlinge verhungert und ausgemergelt vor als sie das Lager bei Weimar erreichten.
In Buchenwald wurden zahlreiche Fotografien gemacht und Filme gedreht. Es fotografierten und filmten dort insbesondere Angehörige der US-Signal-Corps, einer Bild- und Aufklärungseinheit der US-Armee. Sie sollten die Zustände im Lager dokumentieren.
Fotografien und Filme wurden u.a. in den Kriegsverbrecherprozessen, die in Nürnberg ab 1946 stattfanden, verwendet. Gefilmt und fotografiert wurde aber auch bei Besuchen von Politikern aus den USA im Lager, die sich über die dortigen Zustände informieren wollten, sowie bei den Besuchen von Anwohnerinnen und Anwohnern, die aufgefordert wurden, die Folgen der im Lager begangenen Verbrechen anzuschauen. Neben Soldaten fotografierten auch professionelle Fotografinnen in Buchenwald, wie Magret Bourke-White für das USamerikanische Magazin „Life“. Das hier verwendete Foto von Häftlingen in einer Baracke wurde von einem Angehörigen der US-Armee gemacht und später zu einem der bekanntesten Bilder von den unmittelbaren Folgen des Holocausts. Es zeigt gerade befreite Häftlinge und bildet damit nicht die Situation des Lagers, sondern die Zeit nach der Befreiung ab. Später wurde mit Hilfe von überlebenden Zeugen einige der auf dem Foto zu sehenden Häftlinge identifiziert, so der Nobelpreisträger Eli Wiesel, der heute in den USA lebt, oder der in Israel lebende Naftali Fürst.
Aus dem Überlebendenbericht von Simcha Bunem Wakstock über den Einmarsch der Nazis in Polen 1939
Fast alle Juden verließen die Stadt. Es wurde gesagt, dass von den 30.000 Juden in Kalisz nur ein paar Hundert zurückblieben. Es war erschreckend zu sehen, wie die Stadt aussah. (…) Wir standen verwirrt und zitternd im Hof, gemeinsam mit einigen Nachbarn, den letzten, die im Gebäude geblieben waren. In Sekundenbruchteilen haben wir uns entschieden die Stadt sofort zu verlassen. Ähnliche Beratungen fanden in vielen jüdischen Häusern statt. Die Kälte machte sich schon bemerkbar, aber wir hatten keine Wahl. Wir nahmen ein bisschen Kleidung für die Kinder, Bettwäsche und ein bisschen Essen. Wir zogen die Kinder gut an und verließen das Gebäude. Wir waren die letzten die gingen. Wir verschlossen die Wohnungen und das Haupttor und hinterließen das Gebäude leer und trostlos. (…) Wir waren fassungslos. Es war ein schrecklicher Anblick. Der Verkehr auf der Straße war seltsam und erschreckend. Die flüchtende polnische Armee galoppierte in der Straßenmitte.
Es gab Kavalleristen auf Pferderücken, auf Waggons montierte Maschinengewehre und andere Waffen der Zerstörung. An der Straßenseite marschierten Menschen aus den umgebenden Dörfern mit Kühen und Ochsen, Hunden und Pferden. Zwischen dem dichten Volk gab es Tausende Juden, die ebenfalls flohen. Die Massen machten es schwer zu gehen und ein massiver Block an Menschen ging sehr langsam vorwärts. So liefen wir die ganze Nacht.
Simcha Bunem Wakstock, Shalhevet Shelo Kafah (A Flame That Never Froze) (Bnei Brak: HaMerkaz Le’Idud Mechkarim Toranim B’Yisrael, 1991), S. 27-28, in: Years Wherein We Have Seen Evil. Selected Aspects in the History of Religious Jewry During the Holocaust. Volume II – The Ghetto Period, hrsg.
von Yad Vashem – The International School for Holocaust Studies, S. 47. [übersetzt aus dem Englischen]
Aus dem Überlebendenbericht von Bernard Mayer
...Die zweite Aktion begann am 19. November 1942... Ab Dezember begannen die Deutschen, ins Ghetto zu gehen und zufällig Leute auszusuchen. Sie gingen einfach herum und nahmen jeden, den sie in den Häusern finden konnten, überall, außer meine Mutter. Als wir ins Ghetto gezogen sind, bemerkten wir, dass unsere Wohnung im Ghetto in der Küche einen Einbauschrank hatte. Normalerweise haben europäische Häuser keine Einbauschränke, nicht wie in den USA, wo sie das haben.
Aber dieser war wie eine Art Einbuchtung in der Wand. Also hatten wir die Idee, diese Wand, diesen Einbauschrank zu tarnen, indem wir einige Sachen davor hingen, so dass wenn die Deutschen kommen, meine Mutter die Möglichkeit hatte, sich dahinter zu verstecken, während sie im Ghetto war, da war ich im Arbeitslager, mein Bruder in der Fabrik und meine Schwester war ebenfalls arbeiten. Meine Mutter war also die Einzige, die im Ghetto zurückblieb. So versteckte mein Bruder jeden Morgen meine Mutter für den ganzen Tag im Schrank. Falls die Deutschen kommen würden, um die Wohnung zu durchsuchen, würden sie nichts finden. Sie versteckte sich hier die ganze Zeit. Wenn mein Bruder nach Hause kam, half er ihr aus dem Schrank heraus und sie aßen. Dies ging so weiter bis Januar 1943.
Yad Vashem Archive 0.3-7605 [übersetzt aus dem Englischen]
Rudolf Reder, Überlebender des Vernichtungslagers Belzec
Ich war von August bis Ende November 1942 im Vernichtungslager. Das war die Zeit, in der die Juden in Massen vergast wurden. Einige meiner Leidensgefährten, die wenigen, die dort schon länger ausgehalten hatten, hatten mir gesagt, dass die meisten Todestransporte in dieser Zeit stattfanden. Sie kamen täglich an, ohne einen einzigen Tag Pause, gewöhnlich dreimal am Tag. Ein Zug hatte 50 Waggons, und in jedem Waggon waren etwa 100 Personen. Wenn die Züge nachts ankamen, warteten die Opfer von Belzec in den geschlossenen Waggons bis sechs Uhr morgens. Im Durchschnitt wurden 10.000 Menschen pro Tag ermordet.
Manchmal waren die Transporte sogar noch größer und kamen noch dichter aufeinander an. Die Juden kamen von überall her, und es waren nur Juden. Es gab nie irgendeinen anderen Transport. Belzec diente ausschließlich zur Ermordung von Juden. Die Juden wurden von der Gestapo, (...) und den Zugführern aus den Güterwaggons ausgeladen; einige Schritte weiter, im Hof, waren auch jüdische Arbeiter mit dem Auskleiden [der Ankömmlinge] beschäftigt, und sie fragten im Flüsterton: "Woher kommt ihr?" Die Antworten, die zurück geflüstert wurden, waren: "Aus Lwow, aus Krakau, aus Zamosc, aus Wieliczka, aus Jaslo, aus Tarnow, und so weiter. Ich habe das jeden Tag gesehen, zweimal, dreimal täglich.
Rudolf Reder, Belzec, hrsg. von der Stiftung Judaica und Auschwitz-Birkenau Museum, Krakau 1999, S. 125. [übersetzt aus dem Englischen]
Hilde Sherman über ihre Deportation am 11.12.1941 von Düsseldorf nach Riga
Wir kamen an in Düsseldorf, es war schon Dämmerung, wir mussten aussteigen und zu Fuß zum Schlachthof gehen. Und da wurden wir gesammelt. Ich erinnere mich noch, die älteren Menschen konnten schon damals nicht ihre Taschen tragen und haben sie einfach weggeschmissen, auf die Straße. Und damals habe ich gesehen, wie die Leute zugeschaut haben. Sie sind nicht auf die Straße gekommen, sie haben hinter den Fenstern [zu]gesehen. Ich habe die Vorhänge gesehen, wie sie sich bewegt haben. So kann keiner sagen, dass er nicht gewusst hat, was passiert ist.
Natürlich haben sie uns gesehen. Wir waren über tausend Menschen!
Yad Vashem Archive 0.3/7337 [übersetzt aus dem Englischen].
Aus einem Brief von Hermann Samter vom 26.1.1942
Seit Anfang Januar sind wieder drei Transporte abgegangen (sämtliche nach Riga), so dass aus Berlin schon zehntausend Leute fort sind. Im Februar ist Ruhe. Dafür wird es wohl im März im verstärkten Umfang weitergehen. (...) Neuerdings müssen alle Evakuierten oder, wie man jetzt nur noch sagen darf, „Abgewanderten“ unter sechzig Jahren den Weg von der Levetzowstraße bis zum Bahnhof Grunewald zu Fuß gehen. Kannst du dir vorstellen bei dieser Kälte, was das bedeutet? Die Leute, die gestern fortfuhren, fuhren in Viehwagen. Es waren sehr viele alte Leute darunter, zum Teil wurden sie aus den Altersheimen herausgeholt (bis zu fünfundsiebzig Jahren). Wieviele von den alten Leuten werden die Fahrt gar nicht überleben! Was hinterher geschieht, weiß man schon gar nicht: Aus Litzmannstadt kommt seit Jahresbeginn keine Nachricht mehr. Post, die dorthin gesandt wird, kommt mit dem Vermerk zurück, dass in der betreffenden Straße zur Zeit keine Postzustellung stattfindet. Als Ursache wird Flecktyphus vermutet. Also, man weiß es nicht. (...) So entstand das weitverbreitete Gerücht, dass diese Menschen unterwegs erschossen oder sonst wie ermordet worden sind. (...) So nehmen denn die Selbstmorde in ungeheurer Weise zu.
Yad Vashem Archiv 0.2/30 [übersetzt aus dem Englischen].
Bericht des damals 14-jährigen Augenzeugen Michael Wieck 24. Juni 1942, Königsberg
Man hatte viele hundert Menschen zur selben Zeit an eine bestimmte, zentral gelegene Sammelstelle beordert. Jeder hatte genaue Verhaltensvorschriften zugeschickt bekommen. Mitnehmen durfte man nur 30 Kilogramm Gepäck. Alle hatten aber mehr. Unglaublich zu sehen, was man sich an Lasten zumutete. Kein Zweifel: An diesem Tag gab es in Königsberg viele schlechte Gewissen. Man konnte die Betroffenheit Einzelner deutlich spüren. Die Vertreibungsaktion war zu umfangreich und blieb niemandem verborgen. Den ganzen Morgen zogen doch die bepackten Juden zu Fuß durch die Stadt. Manche mussten nach wenigen Schritten pausieren, andere behalfen sich mit kleinen Leiterwagen. Ihre Gesichter wirkten leer, resigniert, aber auch angespannt. (...) Als schuldlos Verfemte gingen sie durch die Straßen, in denen von wenigen Ausnahmen abgesehen die ehemaligen Mitbürger, Patienten, Kunden, Freunde oder Nachbarn untätig daneben standen, zusahen und wegsahen. Einige ganz gewiss mit bitteren Gefühlen und dem Wissen um das schlimme Unrecht und die eigene Ohnmacht. Aber an den zurückgelassenen Gütern, Häusern, Wohnungen, Möbeln, Büchern und beruflichen Vakanzen profitierte in der Regel bedenkenlos, wer Gelegenheit dazu hatte.
Götz Aly, Im Tunnel. Das kurze Leben der Marion Samuel 1931-1943, Frankfurt/Main 2004, S. 135.