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Die Jüdinnen und Juden von Algerien, Marokko und Tunesien

  1. Als das Vichy-Regime errichtet wurde, floh der französische General Charles de Gaulle, ein erbitterter Gegner der Kapitulation Frankreichs, nach Großbritannien, wo er eine französische Exilregierung bildete und sammelte um sich andere Französinnen und Franzosen, die Frankreich von den Deutschen und der Kollaboration der Vichy-Regierung befreien wollten. 
  2. Michel Abitbol: The Jews of North Africa During the Second World War. Detroit, 1989, S. 56.
  3. A.a. O., S. 57.
  4. A.a. O., S. 56.
  5. Die Karäerinnen und Karäer verstehen sich einerseits als jüdische Religionsgemeinschaft, andererseits als eigene Volksgruppe. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie nicht als Jüdinnen und Juden verfolgt, sondern zu einer „tatarischen Volksgruppe“ erklärt. Die Nationalsozialisten folgten dem angeforderten Gutachten des jüdischen Historikers Majer Balaban, der die Karäerinnen und Karäer als nicht dem jüdischen Volk und seiner Religion zugehörig erklärt hatte.
  6. Michel Abitbol: The Jews of North Africa During the Second World War. Detroit, 1989, S. 59.
  7. A.a. O., S. 69 - 71.
  8. A.a. O., S. 72 - 73.
  9. A.a. O., S. 73.
  10. A.a. O., S. 86 - 87.
  11. A.a. O., S. 88.
  12. A.a. O., S. 88. 
  13. A.a. O., S. 84, wie von I. Shapiro, dem Präsidenten der Universitätsorganisation Kol Aviv, erklärt.
  14. Diese gemeinsame britsch-amerikanische Invasion trägt den Namen „Operation Torch”. Alliierte Streitkräfte landeten am 8. November 1942 in Französisch-Nordafrika. Die Alliierten hatten die Absicht, in Marokko, Algerien und Tunesien zu landen, um die Truppen der Achsenmächte in Nordafrika in einen Zangengriff zu nehmen und ihnen in den Rücken zu fallen. General Dwight D. Eisenhower von der amerikanischen Armee hatte das Oberkommando über die Operation. 
  15. UN News Center, 28. Januar 2010. 
  16. A.a. O., S. 76 - 77.
  17. A.a. O., S. 64 - 65.
  18. Irit Abramski: The Jews of Libya and Tunisia in the Annals of North Africa. Vorgelegt in Rom, Italien, an der Roma Tre Universität, 2002. S. 12. 
  19. Walther Rauff war der Verantwortliche für die Ermordung von Jüdinnen und Juden in Polen und Russland mittels mobiler Gaswagen - den Vorläufern der stationären Gaskammern, wie sie später in den Vernichtungslagern in Polen verwendet wurden. Ende 1942 wurde er zum SD Einsatzkommando in Tunis versetzt. Bei Kriegsende wurde er von den Amerikanern verhaftet, konnte aber aus einem Kriegsgefangenenlager fliehen. Nachdem er achtzehn Monate lang in einem Kloster versteckt lebte, ging er nach Chile, das seine Auslieferung verweigerte. Er starb 1984 ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein. 
  20. Abramski, S. 15.
  21. A.a. O., S. 16.

Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten 400.000 Jüdinnen und Juden in „Französisch-Nordafrika“ (d.h. Marokko, Algerien, Tunesien, manchmal auch „Maghreb” genannt) und weitere 30.000 in Libyen, das damals eine italienische Kolonie war. Das Schicksal der nordafrikanischen Jüdinnen und Juden hing vom Land ab, in dem sie lebten. In Libyen, einer italienischen Kolonie, wurden von 1940 bis 1943 Tausende Menschen in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert; fast 600 starben in diesen Lagern an Hunger und Krankheiten.

Die Jüdinnen und Juden in Algerien, die die französische Staatsbürgerschaft besaßen, verloren 1940 ihre Rechte, mussten ein Erkennungsmerkmal (den gelben Stern) tragen und wurden Zulassungsquoten unterworfen, die sogar schon für die Grundschule galten. In Marokko, wo Jüdinnen und Juden zwar Bürgerrechte hatten, aber keine französischen Staatsbürgerschaft, wurden antisemitische Gesetze weniger streng ausgelegt. Tunesien war das einzige Land im Maghreb, das von der deutschen Wehrmacht tatsächlich besetzt wurde. Die Wehrmacht landete mit einer SS-Einheit in Tunesien, die die Aufgabe hatte, eine antisemitische Politik durchzusetzen. Den Jüdinnen und Juden von Algerien, Marokko und Tunesien blieb das Schicksal der Jüdinnen und Juden in Europa erspart, nachdem die Truppen des Generalfeldmarschalls Rommel in der zweiten Schlacht von El Alamein im Herbst 1942 geschlagen worden waren und sich die Deutschen Anfang Mai 1943 aus Tunesien zurückzogen.

Dieser Artikel behandelt die Situation der Jüdinnen und Juden in den drei französischen nordafrikanischen Kolonien Algerien, Marokko und Tunesien. Ein Artikel über die jüdische Bevölkerung Libyens ist hier zu finden.

Hintergrund: Vichy-Frankreich

Im Mai 1940 marschierte die deutsche Wehrmacht in Frankreich ein. Nach kurzer Zeit war Frankreich militärisch besiegt. Nach der französischen Kapitulation am 22. Juni 1940, wurde Henri Philippe Pétain zum Regierungschef von Vichy-Frankreich ernannt.

Der Waffenstillstand mit Frankreich entsprach der Taktik Hitlers, den Krieg mit Frankreich zu beenden und sich auf andere Länder zu konzentrieren.

Das Waffenstillstandsabkommen teilte Frankreich in zwei Teile: die nördlichen zwei Drittel des Landes („besetzte Zone”) wurden unter direkte deutsche Herrschaft gestellt, während der Süden Frankreichs mit dem Verwaltungszentrum in Vichy unbesetzt blieb. Dieser Teil ist als „Vichy-Frankreich” bekannt1. Zu dem Machtbereich von Vichy-Frankreich gehörten auch die französischen Kolonien in Nordafrika. Algerien gehörte faktisch zu Frankreich und die Bewohnerinnen und Bewohner hatten die französische Staatsbürgerschaft; dies galt nicht in den französischen Protektoraten Tunesien und Marokko.

Im Oktober 1940 erließ Pétains Vichy-Regime antisemitische Gesetze, die im sogenannte Statut des Juifs zusammengefasst wurden. Diese Gesetze wurden auf Initiative des Vichy-Regimes auf die französischen Kolonien ausgeweitet. Auch beim Widerruf des Décret Crémieux, das siebzig Jahre zuvor, im Jahr 1870, den Jüdinnen und Juden Frankreichs und Algeriens die Staatsbürgerschaft verliehen hatte, gab es keinen Druck von deutscher Seite auf Pétain.2 Das Vichy-Regime führte nicht nur rassistische Gesetzgebungen ein; die Gesetze waren vielmehr so aggressiv antisemitisch, dass sie sogar die entsprechenden antisemitischen Gesetze, die wenige Tage vorher von der Verwaltung der deutschen Besatzung in Paris veröffentlicht worden waren, in den Schatten stellten.3 In der Tat erklärte Paul Baudouin, der Außenminister der Vichy-Regierung im Juli 1940: „Die gegenwärtige Entwicklung ist frei gewählt und nicht im mindestens dazu angetan, unsere Sieger zufriedenzustellen ..."4

In den Gesetzen, die in den folgenden zwei Jahren von der Vichy-Regierung erlassen wurden, wurde genau definiert, wer als Jüdin oder Jude zu betrachten war. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die Gesetze umzusetzen und die Jüdinnen und Juden systematisch aus der französischen Gesellschaft zu drängen. Im März 1941 wurde in Vichy das Generalkommissariat für jüdische Angelegenheiten gegründet, als dessen Leiter Xavier Vallat eingesetzt wurde. Das Generalkommissariat war für die Einführung und Umsetzung der antisemitischen Gesetze in Vichy-Frankreich verantwortlich, darunter auch für die Konfiszierung des Eigentums und der Geschäfte der jüdischen Bevölkerung.

Jüdinnen und Juden wurde es verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden und für die Regierung zu arbeiten. Sie verloren ihre Arbeit als Lehrerinnen und Lehrer in allen öffentlichen nicht-jüdischen Schulen. Sie durften nicht länger Tätigkeiten ausüben, die mit Finanzen zu tun hatten, wie beispielsweise Tätigkeiten in Banken, in der Börse und im Handel. Jüdinnnen und Juden durften keine Firmen mehr besitzen. Sie wurden aus ihren Stellungen in den Medien entlassen. In den freien Berufen wurden strenge Quoten eingeführt, die die Anzahl der Jüdinnen und Juden, die in medizinischen und rechtlichen Berufen arbeiten durften, einschränkten. Jüdinnen und Juden wurden aus Grund- und Mittelschulen ausgeschlossen und einem Numerus Clausus unterworfen, der die Zahl der Jüdinnen und Juden, die zu einem Universitätsstudium zugelassen wurden, stark einschränkte.

Da Marokko und Tunesien französische Protektorate waren, wurden diese Gesetze dort nicht in demselben Ausmaß wie in Algerien durchgesetzt.

Wie wirkten sich das Vichy-Regime und seine Gesetze auf das Schicksal der Jüdinnnen und Juden in den drei nordafrikanischen Ländern aus?

Algerien

Als das Décret Crémieux am 7. Oktober 1940 abgeschafft wurde, waren die Jüdinnen und Juden Algeriens praktisch über Nacht ihrer französischen Staatsbürgerschaft beraubt, die ihnen 70 Jahre zuvor verliehen worden war. Es dauerte nicht lange, bis sie erkannten, dass dies nur die erste von vielen Maßnahmen war, die darauf abzielten, sie auszugrenzen und zu verfolgen.

Von allen französischen Kolonien und Protektoraten war Algerien zweifellos diejenige, die hinsichtlich der Anwendung antisemitischer Gesetzgebung die meiste Aufmerksamkeit des Vichy-Regimes auf sich zog. Die antisemitischen Gesetze des Vichy-Regimes wurden direkt und gnadenlos, ohne Änderungen, auf die jüdischen Gemeinden Algeriens angewandt. Bei der Definition, wer Jüdin oder Jude sei, benutzten die Gesetze der Vichy-Regierung den Begriff der „Rasse” als Kriterium. So wurden selbst zum Christentum oder Islam konvertierte Personen als jüdisch klassifiziert. Die Vichy-Gesetze schlossen bestimmte Personengruppen wie die Karäer5 ein, denen bei der Definition der deutschen Besatzer, die Ausgrenzung erspart geblieben war.

Außerdem galten die Gesetze, die die Stellung der Jüdinnen und Juden in der Wirtschaft limitierten, für alle algerischen Jüdinnen und Juden fast ohne Ausnahme (ausgenommen waren nur einige wenige Veteranen des Ersten Weltkrieges und Kriegsgefangene). In Algerien wurden Jüdinnen und Juden aus allen öffentlichen Verwaltungspositionen und aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Es gab eine lange Liste von Arbeitsfeldern, darunter in Banken, auf dem Börsenmarkt, in Werbung, Versicherungen, Immobilien, Getreide- und Viehhandel, und im Handel mit Antiquitäten und Gemälden, in denen Jüdinnen und Juden nicht tätig sein durften. Die Gesetze, die Jüdinnen und Juden dabei einschränkten, in medizinischen, rechtlichen und freien Berufen zu arbeiten, wurden rigoros durchgesetzt. Viele Jüdinnen und Juden Algeriens gehörten der Akademikerklasse an. Auf sie wirkten sich diese Beschränkungen besonders stark aus.

Algerien war das einzige der drei nordafrikanischen Länder, in dem eine spezielle Abteilung geschaffen wurde, die die antisemitischen Gesetze umsetzen sollte.6 Das Ergebnis war, dass die Beschränkungen, die der jüdischen Bevölkerung auferlegt wurden, in Algerien deutlich häufiger umgesetzt wurden als in Marokko oder Tunesien. So überstieg zum Beispiel der Eifer der algerischen Verwalter bei der Durchführung von Maßnahmen gegen die jüdischen Grund- und Mittelschülerinnen und -schüler bei weitem jenem der französischen Verwaltung gegen die jüdischen Kinder in Vichy-Frankreich. Ein Numerus Clausus limitierte die Anzahl der jüdischen Schulkinder zuerst auf 14, später auf sieben Prozent. Schließlich wurden sie ganz aus dem öffentlichen Erziehungssystem ausgeschlossen. „Nicht einmal Vichy hatte es gewagt, gegen die jüdischen Kinder in der unbesetzten Zone solche Maßnahmen zu ergreifen.”7

Zusätzlich wurde in Algerien ein Amt für „Arisierung” ins Leben gerufen, das für die Beschlagnahme jüdischen Eigentums und die Verdrängung der Jüdinnen und Juden aus der Wirtschaft zuständig war. Für jüdische Unternehmen wurden Treuhänder ernannt. Diese hatten den Auftrag, die jüdischen Unternehmen aufzulösen. Als Anreiz war es ihnen gestattet vor dem Verkauf einen Prozentsatz der Einkünfte einzubehalten. Um sich zu bereichern, zögerten die Treuhänder den Verkauf der jüdischen Unternehmen hinaus, was dazu führte, dass der Großteil des jüdischen Eigentums bis zur Landung der Alliierten im November 1942 nicht aufgelöst worden war.8 Das algerische Amt für „Arisierung” verabschiedete auch andere Gesetze, die nicht einmal in Vichy-Frankreich existierten, und die zum Beispiel Jüdinnen und Juden betrafen, die Restaurants oder Kaffees besaßen.9

Als Reaktion auf die rassistische Gesetzgebung durch das Vichy-Regime errichtete die jüdische Gemeinde (wie jene in Deutschland und in vielen Ghettos im besetzten Europa) ihr eigenes Erziehungssystem. Jüdische Universitätsprofessoren, die ihre Posten verloren hatten, organisierten im Herbst 1941 ein Fächer- und Vorlesungsangebot, das den entrechteten Studentinnen und Studenten eine breite Palette an Fachrichtungen anbot. Zu den unterrichteten Fächern gehörten Latein, Medizin, Physik, Chemie, Französisch und Englisch. Diese „Piratenuniversität” wurde jedoch auf Anordnung der Behörden im Dezember 1941 wieder abgeschafft.

Es wurde zusätzlich ein Zentralamt für private jüdische Erziehung eröffnet, um den von den Schulen verwiesenen Grund- und Mittelschülerinnen und -schülern zu helfen. Ein Netzwerk jüdischer Schulen wurde geschaffen, die von jüdischen Verwalterinnen und Verwaltern in Algier, Oran und Constantine betrieben wurden. Die Kinder wurden von jüdischen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Die Schulen übernahmen denselben Lehrplan und Fächerkanon wie die öffentlichen Schulen. Da die Jüdinnen und Juden in Algerien zu einem Großteil westlich orientiert und assimiliert waren, wurde der französische Charakter in den Schulen betont; es war zum Beispiel in keiner dieser Schulen Pflicht, den Religionsunterricht zu besuchen.10 Zu Beginn des Schuljahrs 1942 existierten 70 Grundschulen und fünf Mittelschulen für 20.000 jüdische Kinder.11 Das Schulnetzwerk war ein unglaublicher Erfolg. Die Vichy-Behörden verabschiedeten Gesetze, die es ihnen erlaubten, alle neueröffneten Schulen und ihre Lehr- und Stundenpläne zu kontrollieren. Der Zusammenbruch des Systems war jedoch nur eine Frage der Zeit, da die „Arisierung“ zur finanziellen Not führte und die Schulen nicht mehr genug Spenden bekamen.12

Nachdem die Vichy-Behörden die Jüdinnen und Juden isoliert, sie aus vielen wirtschaftlichen Bereichen verdrängt und ihnen ihre Staatsbürgerschaft und Rechte genommen hatte, bestand der nächste Schritt des Vichy-Regimes darin, eine Verwaltung für die jüdische Gemeinde einzusetzen (ähnlich dem „Judenrat”, den die Jüdinnen und Juden in den von den Deutschen besetzten Gebieten einrichten mussten). Die Verordnung über die Gründung der Union Générale des Israélites d´Algérie (UGIA) wurde am 31. März 1942 verabschiedet.

Alle anderen Institutionen der jüdischen Gemeinde wurden aufgelöst und die UGIA wurde das Umsetzungsorgan für die Anordnungen der Regierung. Diese Verordnung verursachte einen Aufruhr in der Führung der algerischen jüdischen Gemeinde, die bald erkannte, dass die Arbeit der Union zum Großteil aus einer „Kollaboration” mit den Behörden bestehen würde. Allerdings verhinderte die Landung der Alliierten in Nordafrika nur 40 Tage nach der Gründung der Union, dass die Union die Anordnungen des Vichy-Regimes ausführen musste.

Trotz der schwierigen Situation, die die jüdische Bevölkerung Algeriens durch das Vichy-Regime erfuhr, blieb sie Frankreich gegenüber loyal. Die jüdische Gemeinde glaubte weiterhin, die Deutschen hätten die französischen Behörden unter Druck gesetzt, um die „Rassengesetze” einzuführen. Das ständige Vertrauen der algerischen jüdischen Jugend in Frankreich drückte einer ihrer Leiter folgendermaßen aus: „Wir sind Franzosen und wir erklären laut, dass [...] keine Macht auf dieser Welt das tiefe Gefühl, das uns mit unserem Land, seiner Kultur, seinen Toten verbindet, beeinträchtigen kann.”13 Daher schlossen sich viele Jüdinnen und Juden dem algerischen Untergrund an, der im Jahr 1940 von einer Gruppe junger Jüdinnen und Juden gegründet wurde, von denen einige früher Offiziere der französischen Armee gewesen waren. Auch andere jüdische Untergrundgruppen wurden gegründet und schlossen sich dem organisierten französischen Widerstand in Algerien an. Ende Oktober 1942 informierte die US-Regierung die Widerstandsgruppen über ihre Pläne, in Algerien und Marokko zu landen14 und und forderte sie auf, am Kampf teilzunehmen und in Algiers, Oran und Casablanca strategisch wichtige Positionen einzunehmen. Die Untergrundbewegung scheiterte zwar in Oran und Casablanca, konnte aber am 7. und 8. November Algiers erfolgreich erobern. Von den 377 Mitgliedern des Widerstands, die Algiers eroberten, waren 315 Jüdinnen und Juden.

Etwa 2.000 algerische Jüdinnen und Juden wurden in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert, die in Algerien errichtet worden waren, darunter in die Lager in Bedeau und Djelfa. Viele dieser Lager wurden errichtet, um eine Eisenbahnlinie durch die Sahara zu bauen, die Kohlebergwerke in Nordafrika versorgen sollte. Die Häftlinge mussten unter schwierigsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten und dabei jeden Tag stundenlang schwerste körperliche Arbeit auf sich nehmen. Sie erhielten nur wenige Lebensmittel und die sanitären Zustände der Unterkünfte waren katastrophal. Misshandlungen und Grausamkeiten standen auf der Tagesordnung. Viele starben an den Folgen der Misshandlungen; mehr noch starben an Typhus oder an Erschöpfung und Hunger.

Aufgrund der frühen Befreiung Algeriens durch die Alliierten im November 1942 überlebten die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Aber die Jüdinnen und Juden waren nicht wirklich „befreit”. Es dauerte bis zum Sommer 1943, bis alle antisemitischen Gesetze aufgehoben und die Jüdinnen und Juden Algeriens wieder ihre französische Staatsbürgerschaft erhielten.

Marokko

Da Marokko ein französisches Protektorat war und seine Bewohnerinnen und Bewohner nicht als französische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger betrachtet wurden (das Décret Crémieux galt nur in Algerien, nicht aber in Marokko oder Tunesien), war die Umsetzung der antisemitischen Gesetze, die vom Vichy-Regime erlassen wurden, in Marokko nicht so hart wie in Algerien. Außerdem stimmte die Regierung in Vichy die Gesetze in den Protektoraten nicht mit jenen ab, die in Frankreich und Algerien galten. Daraus resultierten ganz unterschiedliche Politiken.

So war zum Beispiel in Marokko (und auch in Tunesien) die Definition, wer Jüdin oder Jude war und wer nicht, anders als in Algerien: Für einheimische marokkanische (und tunesische) Jüdinnen und Juden hing die Definition nicht von der Abstammung ab, sondern von der Religion. Das Gesetz betrachtete diejenigen, die zum Christentum oder Islam konvertiert waren - nicht mehr als Jüdinnen oder Juden. So konnte eine Person, die in Algerien im Rahmen des Statut des Juifs als Jüdin oder Jude galt, nach dem Gesetz in Marokko (oder Tunesien) als nicht-jüdisch definiert werden.

Da die jüdische Bevölkerung in Marokko weit weniger assimiliert war als jene in Algerien, war die Auswirkung bestimmter antisemitischer Gesetze des Vichy-Regimes weniger signifikant. Die meisten jüdischen Schülerinnen und Schüler besuchten die privaten jüdischen Schulen der Alliance Israélite Universelle und nicht die öffentlichen marokkanischen Schulen. Nur wenige studierten an der Universität. Daher waren die jüdischen Studierenden und Schulkinder in Marokko und Tunesien von den antisemitischen Gesetzen, die in Algerien dem Schulsystem einen verheerenden Schaden zufügten, kaum betroffen.

Ein weiterer Faktor war die Flexibilität der marokkanischen Gesetze und Behörden. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Monarchie in Marokko beibehalten, während französisches Militär präsent war. Die sogenannten Dahire, Dekrete des marokkanischen Sultans, gestatteten die flexible Umsetzung der antisemitischen Gesetze. So erlaubte zum Beispiel ein Dahir, dass die Jüdinnen und Juden bestimmte Posten behielten, ein anderer gewährte ihnen freien Zugang zu Handwerk und Einzelhandel, obwohl es ihnen verboten war, Geld zu leihen. In Marokko wurde es nicht für notwendig gehalten, Vollzugsbefehle für die Dekrete, die den jüdischen Zugang zu Berufen in Recht, Medizin und Architektur beschränkten, zu erlassen. Sowohl das Erlassen von Gesetzen als auch die Umsetzung bereits erlassener Gesetze war viel langsamer.

Die öffentliche Meinung zollte lange Zeit Sultan Mohammed V. Anerkennung für die Hilfe, die er seinen jüdischen Untertanen entgegenbrachte, als er sich zwischen sie und die Verwaltung in Vichy stellte. So berichtet zum Beispiel der marokkanische Sonderbotschafter Serge Berdugo, der marokkanische König habe Berdugos Vaters, einem Leiter der jüdischen Gemeinde während des Zweiten Weltkrieges, zugesagt, „dass den Juden kein Leid zugefügt werde, das nicht zuerst meine Familie und mich selbst befällt.”15 Andererseits hatte der Monarch keine andere Wahl und musste die Dekrete, die ihm von der Vichy-Verwaltung vorgelegt wurden, besiegeln. Wahrscheinlich blieb die Herzlichkeit, mit der der König die Delegation der marokkanischen Jüdinnen und Juden empfing, als sie mit ihm die Konsequenzen der Vollstreckung der antisemitischen Gesetze im Frühjahr 1942 diskutierten, tatsächlich eine der wenigen positiven Gesten des Sultans gegenüber der jüdischen Gemeinde Marokkos. Bis heute diskutieren Historikerinnen und Historiker über die Rolle des Sultans.

Die lokalen wirtschaftlichen und industriellen Vereinigungen und die Arbeitergewerkschaften stärkten die Auswirkungen der antisemitischen Gesetze. Mit der Absicht, jüdische Konkurrenz auszuschalten, gingen diese Organisationen daran, jüdische Mitglieder auszustoßen und jüdische Angestellte zu entlassen.

Obwohl es keine eigentliche Ghettoisierung gab, mussten Jüdinnen und Juden, die in den sogenannten europäischen Stadtvierteln wohnten, in die traditionellen jüdischen Viertel, die sogenannten Mellahs ziehen.

Wie im restlichen „Französisch-Nordafrika“ wurden 2.100 marokkanische Jüdinnen und Juden in Arbeitslagern, die in ganz Marokko errichtet worden waren, interniert. Die Lager waren mit dem oben erwähnten Projekt der Eisenbahnlinie durch die Sahara verbunden. Die Bedingungen in den Lagern waren so hart, dass viele Häftlinge an Hunger, Erschöpfung und Krankheiten starben.

Tunesien

Tunesien war das einzige der drei französisch-nordafrikanischen Länder, das unter direkte deutsche Kontrolle kam. Die Wehrmacht, die von SS-Einheiten begleitet wurde, hielt Tunesien für knapp sechs Monate besetzt und hatte die Vernichtung der tunesischen Jüdinnen und Juden als Ziel. Allerdings verhinderte die Ankunft der Alliierten, dass die gesamte jüdische Bevölkerung Tunesiens in die Vernichtungslager gebracht und ermordet wurde.

Die Situation in Tunesien unterschied sich aus einer Reihe von zusätzlichen Gründen erheblich von jenen der anderen französisch-nordafrikanischen Länder.

Französische und muslimische Funktionäre in Tunesien standen den Jüdinnen und Juden wohlwollend gegenüber und waren dagegen, eine rassistische Gesetzgebung einzuführen. Der Generalresident für das Vichy-Regime in Tunesien, Jean-Pierre Estéva, versuchte die Einführung der antisemitischen Gesetze zu verzögern. Er kritisierte die Maßnahmen der Vichy-Regierung als unmoralisch und nicht im Interesse Tunesiens oder Frankreichs. Estéva war ein religiöser Mensch, der zwischen seinem christlichen Glauben und seiner Pflicht und Loyalität gegenüber Marschall Pétain hin- und hergerissen war. Im Mai 1941, während die rassistischen, antisemitischen Gesetze in Vichy-Frankreich erlassen und in Algerien vollstreckt wurden, besuchte Estéva die alte Synagoge von Al-Ghriba auf der tunesischen Insel Djerba und spendete vor dem Pessachfest 1941 und 1942 für die jüdischen Armen.16

Auch der damalige tunesische Herrscher Ahmed II Bey und sein Nachfolger Muhammad al-Munsif Bey standen der jüdischen Bevölkerung wohlwollend gegenüber. In einer Zeit des ansteigenden Rassismus und der Judenverfolgung verlieh Muhammad al-Munsif Bey die höchste tunesische Auszeichnung, den Nishan Iftikhar, an 20 Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

Estéva und die tunesischen Herrscher verzögerten die Veröffentlichung der Befehle zur Einführung vieler wirtschaftlicher Gesetze, denen die Jüdinnen und Juden ausgesetzt werden sollten. Als Esteva schließlich unter dem Druck des Vichy-Regimes gezwungen wurde, die Befehle auszuführen, versuchte er die einzelnen Fristen für die Vertreibung aus verschiedenen Berufen mit den Jüdinnen und Juden abzustimmen, um die damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten zu mildern. Jüdische Ärztinnen und Ärzte, denen die Lizenz entzogen worden war, durften weiter kranke Jüdinnen und Juden behandeln und jüdische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihre Klientinnen und Klienten weiter vor den Rabbinatsgerichten vertreten. Es war der jüdischen Gemeinde immer noch gestattet, eigene Zeitungen zu behalten und die jüdische Bevölkerung in gewählten Gremien zu repräsentieren. Es wurden keine temporären Treuhänder ernannt, was das Vichy-Regime bei seinen Bemühungen, jüdisches Eigentum zu konfiszieren, fast vollständig blockierte.17

Was sich zusätzlich zugunsten der tunesischen Jüdinnen und Juden auswirkte und die Anwendung der „Rassengesetze” erheblich behinderte, war die Rolle Italiens - trotz der Tatsache, dass es sich dabei um eine Achsenmacht handelte. In Tunesien existierte eine Gemeinde italienischer Jüdinnen und Juden aus Livorno, die „Grana” genannt wurde. Einige dieser Familien waren seit dem 17. Jahrhundert in Tunesien ansässig. Während des Krieges lebten ca. 5.000 Jüdinnen und Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft in Tunesien. Ihre Verbundenheit mit Italien war im Ersten Weltkrieg gestärkt worden, als Italien auf derselben Seite wie Frankreich kämpfte. Auch als die Faschisten an die Macht kamen, hörten die Livorneser Jüdinnen und Juden nicht auf, Italien zu unterstützen. Wegen dieser Verbundenheit intervenierte Italien und setzte sich für den Schutz von Jüdinnen und Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft ein. Der italienische Botschafter wurde in Berlin vorstellig, um die „Arisierung” des jüdischen Eigentums und die Vollstreckung der Gesetze des Vichy-Regimes in Tunesien zu verhindern. Im weiteren Verlauf gelang es, die Einführung der „Rassengesetze” des Vichy-Regimes in Tunesien zu verhindern. All das war für alle Jüdinnen und Juden in Tunesien von Vorteil, nicht nur für diejenigen, die die italienische Staatsbürgerschaft besaßen, und schwächte die Auswirkung der „Arisierungsmaßnahmen” der Vichy-Regierung.

Während der deutschen Besatzungszeit schützte Italien die livornischen Jüdinnen und Juden in Tunesien außerdem völlig von Eigentumskonfiszierungen und von Deportationen in Lager und Transitlager. Da den italienischen Jüdinnen und Juden das Tragen des „Judensterns“ nicht aufgezwungen wurde, mussten auch keine tunesische Jüdin und kein tunesischer Jude mit livornischer Abstammung (nicht nur jene, die die italienische Staatsbürgerschaft besaßen) den Stern tragen.18

Die Situation der tunesischen Jüdinnen und Juden änderte sich jedoch, als die Wehrmacht am 9. November 1942 in Tunesien als Reaktion auf die „Operation Torch” (amerikanisch-britische Invasion von Französisch-Nordafrika, die am 8. November 1942 begann) landete. Die Wehrmacht besetzte Tunesien sechs Monate lang von November 1942 bis Mai 1943. Zwei Wochen nach dem Einmarsch begannen die Deutschen mit Maßnahmen gegen die tunesisch-jüdische Bevölkerung. Zuerst wurden die Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde verhaftet. Gleichzeitig wurden 3.000 Jüdinnen und Juden gezwungen, am Bau von Befestigungsanlagen in Nordtunesien zu arbeiten. Der für die Verfolgung der Jüdinnen und Juden verantwortliche SS-Offizier war Walther Rauff.19 Rauff forderte tausende jüdische Arbeitskräfte an und befahl ihnen, den gelben Stern auf dem Rücken zu tragen, damit man sie schon von Weitem aus identifizieren und bei einem Fluchtversuch erschießen konnte.20

Unmittelbar auf Rauffs Befehl hin wurden Synagogen geplündert, Jüdinnen und Juden willkürlich in den Straßen geschlagen, abgeholt und zu Sammelstellen zur Deportation gebracht. Angesichts dieser gewalttätigen Ausschreitung beschloss die jüdische Gemeinde, den deutschen Befehlen Folge zu leisten. Ein besonderes Komitee wurde gewählt, das Comité de Recrutement de la Main-d´Oeuvre Juive (Komitee zur Rekrutierung jüdischer Arbeitskräfte), das wie die „Judenräte” in Europa ein Werkzeug in den Händen der Deutschen wurde. Wie in Europa, zwangen die Nationalsozialisten die jüdische Gemeinde, ihnen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zur Verfügung zu stellen und sie mit Lebensmitteln und Werkzeugen auszustatten. Dieses Komitee war mit den gleichen Dilemmata konfrontiert wie die „Judenräte” überall in Europa: Wie sollten sie Entscheidungen über Leben und Tod treffen und Leute auswählen, die in Arbeitslager geschickt werden sollten? Schließlich wurden 5.000 Jüdinnen und Juden, die meisten aus Tunis und aus einigen Gemeinden im Norden, verhaftet und in 32 Arbeitslager, die über ganz Tunesien verstreut waren, deportiert. Die Bizerta und Mateur waren Lager, wo hunderte jüdische Gefangene durch Krankheit, Zwangsarbeit, Misshandlungen durch das deutsche Wachpersonal und alliierte Bombenangriffe ums Leben kamen.

Parallel zu den Deportationen und der Zwangsarbeit wurde jüdisches Eigentum, Wohnungen und Geschäfte, von deutschen Besatzern beschlagnahmt. Den großen jüdischen Gemeinden wurden Zwangsabgaben in der Höhe von Zehntausenden Francs auferlegt, um sie für ihre „Teilnahme an der Verschwörung des Weltjudentums, die für den anglo-amerikanischen Angriff auf Nordafrika verantwortlich sei”, zu bestrafen.21

Am 6. Mai 1943 nahm die britische Armee die Hauptstadt Tunis ein und die amerikanische Armee erreichte Bizerta. Die Kapitulation der deutschen und italienischen Truppen in Tunesien am 13. Mai 1943 rettete die jüdische Bevölkerung Tunesiens vor weiteren Maßnahmen.

Zusammenfassung

Die Situation der Jüdinnen und Juden in Nordafrika variierte von Land zu Land, sogar innerhalb des Herrschaftsgebietes von Vichy-Frankreich. In den 40er Jahren wurden zwar in allen drei Ländern „Rassengesetze” eingeführt, die jedoch unterschiedlich umgesetzt wurden. Wie in Europa, waren Jüdinnen und Juden in Französisch-Nordafrika denselben Vorgängen ausgesetzt, die der Vernichtung vorangingen: sie wurden ihrer Freiheit, ihres Lebensunterhalts, ihres Eigentums und ihrer Würde beraubt. Überall in Nordafrika wurden sie in Arbeitslager deportiert, wo Hunger und Krankheiten herrschten und sie unmenschlich behandelt wurden. Der Verlauf des Krieges und der Sieg der Alliierten in Nordafrika rettete die Jüdinnen und Juden des Maghreb vor dem systematischen Massenmord.