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Bericht des Überlebenden Benjamin Doron

Auszüge aus einem Yad Vashem Video-Zeitzeugenbericht

Kathryn Berman

Übersetzung und Redaktion: Chani Hinker, Franziska Reiniger, Anna Stocker

  1. Das „Schma Israel” ist zentraler Bestandteil des täglichen Gebets. Es ist der älteste Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses und beinhaltet eine Erklärung des Glaubens an die Einheit und Einzigkeit Gottes „Höre Jisrael! Adonai (ist) unser Gott; Adonai (ist) Eins.“ (Deuteronomium 6,4; siehe Talmud Sukkot 42a und Berachot 13b).
    Traditionellerweise wird dieses Gebet von Juden gesprochen, die dem Tod nahe sind. 
  2. Das Konzentrationslager im libyschen Ort Jadu wurde 1942 errichtet. Mehr als 500 libysche Jüdinnen und Juden starben dort an den schrecklichen Bedingungen, die im Lager herrschten. Für weitere Einzelheiten lesen Sie bitte den Artikel „Die Jüdinnen und Juden von Libyen”.
  3. Die Militäroffensive „Miwtza Dani” begann gegen Ende des ersten Waffenstillstandes im israelischen Unabhängigkeitskrieg und dauerte von 9. bis 19. Juli 1948. Das Ziel war die Eroberung von Gebieten südöstlich von Tel Aviv (Lod und Ramle) und der darauf folgende Vorstoß landeinwärts, um die Bevölkerung und die Truppen in Jerusalem zu unterstützen. Die Offensive wurde nach Dani Mass benannt, dem Kommandanten der „Truppe der 35”, die alle beim Versuch, vier belagerte Kibbutzim im Etzion Block zu erreichen, gefallen waren. Der Kommandant der Offensive „Miwtza Dani” war Yigal Allon, sein Stellvertreter war Yitzchak Rabin. Die gesamte Streitkraft bestand aus rund 6000 Soldaten.
  4. Die Kinder- und Jugend-Alijah ist eine jüdische Organisation, die versuchte, möglichst viele Kinder und Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus aus dem Deutschen Reich vor allem nach Palästina in Sicherheit zu bringen. Nach dem Zweiten Weltkrieg betreute sie Jugendliche und Kinder, die den Holocaust überlebt hatten.
  5. Kibbutz (Plural Kibbutzim) ist die hebräische Bezeichnung für eine ländliche Kollektivsiedlung in Israel. Kibbutzim beruhen auf den Prinzipien gegenseitiger Hilfe und sozialer Gerechtigkeit, in dem Menschen Arbeit, Erziehung und Besitz teilen bzw. gemeinsam organisieren.

Geschichtlicher Überblick: Libyen während des Zweiten Weltkrieges

Von 1911 bis 1943 war Libyen eine italienische Kolonie. Im September 1938 verabschiedete die italienische Regierung „Rassengesetze”, die den „Nürnberger Gesetzen” ähnlich waren. Diese „Rassengesetze” wurden auf die jüdische Bevölkerung Libyens angewandt, wodurch diese Schritt für Schritt ausgrenzt wurde.

Britische, italienische und deutsche Truppen kämpften um die Vorherrschaft in Libyen. Diese Kämpfe zogen auch die jüdische Bevölkerung in Mitleidenschaft. 1942 wurden tausende libysche Jüdinnen und Juden in Konzentrations- und Arbeitslager in Libyen deportiert. Über ihr Schicksal kann im Artikel „Die Jüdinnen und Juden von Libyen” nachgelesen werden.
Der folgende Bericht enthält Auszüge aus einem Interview mit Benjamin Doron, der 1931 in der libyschen Stadt Benghazi geboren wurde.

Das Leben in Benghazi vor dem Krieg

BD: Ich heiße Benjamin Doron. Der Vorname meines Vaters war Morchai oder Mordechai Dadosh. 
Meine Mutter hieß Diamantina; sie wurde Mantina gerufen. 

Ich möchte über meine Großmutter erzählen; sie spielte in meiner Kindheit eine zentrale Rolle. Sie hieß Henriquette oder Regita Arbib (Nadjari). Sie war die Mutter meiner Mutter. Sie wurde in Salonika geboren. Von dort fuhr sie nach Alexandria in Ägytpen, um ihre Brüder zu besuchen. 

Sie lernte meinen Großvater in Alexandria kennen, der dort geschäftlich zu tun hatte. Später heirateten sie und kehrten nach Benghazi zurück. 
Ich fühle mich mehr dem Namen verbunden, den ich annahm, als ich nach dem Unabhängigkeitskrieg nach Israel kam: Doron. Als ich bei meinen Eltern lebte, hieß ich Dadosh. 
Mein Vater war Hafenarbeiter in Benghazi. Er arbeitete dort bis zur ersten britischen Besatzung. Wir waren nicht reich, aber auch nicht arm. Meine Mutter war Hausfrau. Wir waren drei Kinder: mein Bruder Amos, meine Schwester Rachel und ich. Ich war der Älteste.

Das Leben in Benghazi vor dem Krieg

BD: Ich heiße Benjamin Doron. Der Vorname meines Vaters war Morchai oder Mordechai Dadosh. 
Meine Mutter hieß Diamantina; sie wurde Mantina gerufen.

Ich möchte über meine Großmutter erzählen; sie spielte in meiner Kindheit eine zentrale Rolle. Sie hieß Henriquette oder Regita Arbib (Nadjari). Sie war die Mutter meiner Mutter. Sie wurde in Salonika geboren. Von dort fuhr sie nach Alexandria in Ägytpen, um ihre Brüder zu besuchen.

Sie lernte meinen Großvater in Alexandria kennen, der dort geschäftlich zu tun hatte. Später heirateten sie und kehrten nach Benghazi zurück.

Ich fühle mich mehr dem Namen verbunden, den ich annahm, als ich nach dem Unabhängigkeitskrieg nach Israel kam: Doron. Als ich bei meinen Eltern lebte, hieß ich Dadosh.

Mein Vater war Hafenarbeiter in Benghazi. Er arbeitete dort bis zur ersten britischen Besatzung. Wir waren nicht reich, aber auch nicht arm. Meine Mutter war Hausfrau. Wir waren drei Kinder: mein Bruder Amos, meine Schwester Rachel und ich. Ich war der Älteste.

Meine Großmutter wohnte im östlichen Teil der Stadt, der an das muslimische Viertel grenzte. Wir lebten im italienischen Viertel von Benghazi, im dritten Stock eines Wohnhauses. Unsere Toiletten waren innerhalb des Gebäudes, aber da, wo meine Großmutter wohnte, waren die Gebäude älter und stammten aus ottomanischer Zeit – dort waren alle Toiletten außerhalb. Sie wohnte mit ihrem Sohn Herzl, meinem Onkel, der damals 17 Jahre alt war. Sie musste arbeiten, um für sich und ihren ledigen Sohn den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie bügelte Hemden. Die meisten Juden wohnten in der neuen Stadt, nur einige der älteren Generation lebten im älteren Teil, wo meine Großmutter wohnte. Es gab kein jüdisches Ghetto. Meine Großmutter hatte jüdische und nicht-jüdische Freunde. Einige ihrer Freunde stammten aus Griechenland und Malta. In der Synagoge waren alle gleich. Es gab vier Synagogen und alle beteten in der sephardischen Tradition.

Schule

BD: Die jüdischen Kinder besuchten die italienische jüdische Schule, in der es drei Klassen gab. In unsere Schule gingen auch einige nicht-jüdische Schüler, die italienisch sprachen. Ich fing im Alter von sieben Jahren mit dem Schulbesuch an; aber als ich zehneinhalb Jahre alt war, begann der Zweite Weltkrieg und die Schule wurde geschlossen. Ich kann mich an keine besonderen antisemitischen Zwischenfälle in der Schule erinnern. Nach der Schule lernten einige Kinder Limudei Kodesch (religiöse Studien) an der Talmud Thora Schule. Ich ging am Anfang auch hin, hörte aber später damit auf. Ich weiß eigentlich nicht, warum.

Im Januar, Februar und März 1940 stand auch Faschismus auf unserem Lehrplan! Wir trugen sogar die schwarze oder graue Uniform der faschistischen Jugendbewegung und sangen faschistische Lieder. Ich kann mich an den Besuch Benito Mussolinis in Benghazi erinnern, das war 1935. Er ritt auf seinem Pferd auf den Hauptplatz und traf sich mit Funktionären.

Unsere Gemeinde

BD: In der Gemeinde gab es einen religiösen Vorstand, der sich um die Chewra Kadischa (Beerdigungsverein), die Synagoge, die religiöse Erziehung, die Beschneidungen usw. kümmerte. Die restliche Gemeinde war traditionell, aber nicht ultra-orthodox, eingestellt. Wir waren liberale Juden. Wir fuhren fast nie am Schabbat, aber der Grund dafür war, dass wir kein eigenes Auto besaßen! Am Schabbat gingen wir zu Fuß ins Kino. Wir kauften die Eintrittskarten am Freitag oder zahlten am Sonntag. Alle jüdische Geschäfte wurden am Freitag vor Schabbatbeginn geschlossen und blieben es den ganzen Schabbat über. Aber wir waren traditionell und führten ein streng koscheres Haus. Einen Monat vor Pessach begannen wir mit der Vorbereitung des Weizens für die Matzot, die ungesäuerten Brote. Alle Zimmer wurden geputzt und wir durften sie nicht betreten. Eine Woche vorher pflegte der Rabbiner in die Bäckerei zu gehen und sich davon zu überzeugen, dass alles für das Backen der Matzot in Ordnung war. Meine Großmutter bereitete den Teig für die Matzot und brachte ihn zum Backen in den Gemeindeofen. 
Alle gingen am Freitagabend oder am Schabbat in die Synagoge. Am Freitagnachmittag segnete der Rabbiner die Besitzer der jüdischen Geschäfte und wünschte ihnen Schabbat Schalom, während sie vor den Geschäften standen und auf ihn warteten.

Die Juden von Benghazi wurden vom Oberrabbinat und dem Rat der jüdischen Gemeinde vertreten, die zusammenarbeiteten. Damals lebten ungefähr 3.000 Juden in Benghazi. 
Nach 1938, als die „Rassengesetze” in Kraft traten, mussten alle jüdischen Geschäfte und auch unsere Schule am Schabbat geöffnet sein. Der Oberrabbiner sagte uns, dass wir nicht zur Schule gehen sollten. Und wir baten nicht-jüdische Leute, die jüdischen Geschäfte am Schabbat zu öffnen.

Im Zweiten Weltkrieg

BD: Mein letztes Schulzeugnis wurde im April 1940 ausgestellt. Damit endete meine Schulausbildung und die Schwierigkeiten begannen. In Benghazi endet das Schuljahr für alle Kinder im April.
Die erste britische Besatzung begann Ende 1940, aber das Leben ging mehr oder weniger normal weiter. Es gab keine Veränderungen in unserer täglichen Familienroutine. Der Einmarsch der britischen Armee war ein Grund zur Freude. Wir Kinder bekamen kleine Lebensmittelergänzungen wie Marmelade und Brot – damals litten wir nicht unter Hunger aber es gab viele Bombenangriffe. Laut der Erzählung meiner Großmutter machten die britischen Behörden meinen Vater ausfindig, weil er im Hafen gearbeitet hatte. Da sie den Hafen betreiben wollten, gaben sie ihm den Auftrag, die Dinge im Hafen für sie in Bewegung zu setzen. Er brachte die anderen Arbeiter dazu, zur Arbeit zu erscheinen; Schiffe dockten wieder an und zu Hause fehlte es uns an nichts. Meine Onkel, die Schneider waren, hatten es schwerer, weil sie nicht viele Aufträge bekamen. Aber ich glaube nicht, dass es ihnen an den grundlegenden Dingen mangelte. 

Wir wohnten im dritten Stock eines langen Wohnblocks mit vier oder fünf Eingängen. Wenn wir bombardiert wurden, gingen wir in die Luftschutzkeller. Man konnte über das Dach das ganze Gebäude entlang laufen und über die letzte Treppe im Haus zur Straße hinunter steigen. Aber mehr darüber später.

Im Frühling 1941 traf das deutsche Afrikakorps unter Generalleutnant Erwin Rommel ein und vertrieb die britische Armee. Damit war die erste britische Besatzung vorüber. In Rommels Armee dienten auch einige italienische Soldaten. Für uns wurde damit alles viel schwieriger. Zuerst unterrichtete jemand die italienische Justizbehörde, mein Vater habe mit den Briten zusammengearbeitet, da er ihnen geholfen hatte, den Hafen für ihre Nutzung zu öffnen. Er wurde vor ein italienisches Gericht gestellt und wegen „Kollaboration mit dem Feind“ zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. In dieser ganzen Zeit durften wir ihn weder sehen noch besuchen. 
Als die Deutschen in die Stadt kamen, kam es zu Plünderungen und Ausschreitungen durch Italiener gegen die jüdischen Geschäfte. Daran kann ich mich sehr gut erinnern. Ich habe das von den Fenstern unserer Wohnung im dritten Stock beobachtet, wie Italiener auf der Straße randalierten.

Wir sahen meinen Vater erst nach dem Krieg wieder. Er konnte sich nie dazu durchringen, über diese Zeit zu sprechen. Er erzählte meinem Bruder, dass er damals sehr leiden musste und schwierige Dinge erlebte, aber er hat diese allgemeine Darstellung nie ausgeführt. Er wurde nach Tripoli gebracht und von dort auf einem Truppentransporter nach Italien, wo er eingesperrt wurde. 

Meine Mutter erkrankte an Typhus und starb. Wir blieben bei unserer Großmutter, die sich um uns kümmerte, als seien wir Waisen. Sie zog mit unserem Onkel Herzl in unsere Wohnung, da sie im dritten Stock lag und daher sicherer war als ihre Erdgeschosswohnung. Wir benutzten wegen des Wassermangels den Brunnen in ihrem Hof und ich war dafür verantwortlich, jeden Tag zu ihrer alten Wohnung zu gehen und Wasser für uns zu holen. Das Leben wurde schwerer; die Stadt war sehr schmutzig. Läuse wurden ein Problem, um das man sich kümmern musste. Es gab nicht so viel zu essen wie vorher, aber ich erinnere mich nicht, dass ich Hunger hatte, da man die Grundnahrungsmittel bekommen konnte. Von Zeit zu Zeit verkaufte Großmutter ein Schmuckstück, um uns zu ernähren, und anscheinend reichte es aus, um für uns Essen zu kaufen.

Man darf nicht vergessen, dass es Luftangriffe gab und daher blieben wir die meiste Zeit zu Hause. Ich verließ die Wohnung nur, um Wasser zu holen und am Freitagabend und am Schabbat in die Synagoge zu gehen. Es gab nächtliche Bombenangriffe und es war zu finster, um hinaus zu gehen. Es gab keine Sirenen, die uns vor den herannahenden Flugzeugen warnten. Ich erinnere mich, dass Großmutter jeden von uns aufforderte, sich in eine Ecke zu stellen, „Schma Israel”1 zu beten und einfach abzuwarten. Das war der Krieg für uns: Er bedeutete eingeschränkte Bewegungsfreiheit, einige Schwierigkeiten, Angst, aber nichts Unerträgliches. Die Juden blieben in ihrer Gemeinde und erlebten in dieser Phase nichts wirklich Schlimmeres als die „Rassengesetze”. 

Ende 1941, Anfang 1942 vertrieben die Briten die Deutschen und wir empfingen die britische Armee wieder mit Freude. Aber diese Zeit dauerte nicht lange. Damals trafen wir auch einige jüdische Soldaten aus Palästina, die in der britischen Armee dienten, aber nicht viele. 

1942 kehrten die Deutschen zurück und Mussolini befahl die Vertreibung der Juden aus gewissen Gebieten in Libyen. Sie mussten sich in Benghazi versammeln. Der deutsche und der italienische Gouverneur forderten, dass Listen aller Juden in Benghazi angelegt werden mussten. Der Rabbiner und die Leiter der jüdischen Gemeinde wollten diese Listen nicht zur Verfügung stellen. Wir wussten nicht, wohin die Leute, die auf den Listen standen, geschickt wurden. Und dann machte ein Jude namens Docha die Listen für die Deutschen und diese Listen wurden in der Synagoge angeschlagen. Die Juden auf der Liste mussten sich an einem bestimmten Tag an einer bestimmten Sammelstelle einfinden. Von dort wurden sie auf Lastautos weg gebracht. 

Wir wussten nichts vom Schicksal der Juden in anderen Ländern, obwohl damals einige jüdische Flüchtlinge aus Europa nach Benghazi gekommen waren. Die jüdische Gemeinde half ihnen mit elementaren Dingen wie Brot, Bohnen und Brunnenwasser usw. Aber bald danach wurden sie nach Europa zurückgeschickt, ich weiß nicht, was mit ihnen geschah. 
So wurde alle paar Wochen ein Lastauto mit Juden beladen, die weggebracht wurden und wir wussten nicht, wohin. Aus irgendeinem Grund standen wir ganz unten auf der Liste, obwohl einige meiner Onkel väterlicherseits mit dem ersten Konvoi abtransportiert worden waren.

Langsam verwandelte sich Benghazi in eine Geisterstadt mit nur 250 übriggebliebenen Juden. Das war eine sehr schwere Zeit, denn die Stadt war leer und es war äußerst schwierig, Essen aufzutreiben. Nicht-jüdische französische und britische Bürger verließen die Stadt und kehrten in ihre Länder zurück. Französische Juden gingen zuerst nach Tripoli und wurden von dort nach Tunesien geschickt. Britische Juden wurden nach Italien gebracht, von wo einige nach Bergen-Belsen deportiert wurden. 

Von jetzt an begannen wir Hunger zu leiden. Ich wurde für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verantwortlich, sogar von der deutschen Wehrmacht, wie zum Beispiel Marmeladenreste aus Konserven, aber es reichte nicht. 
In die meisten jüdischen Häuser und Geschäfte war eingebrochen worden. Meine Großmutter hatte die Idee, ich solle in die eingebrochenen Häuser gehen und nach Essen suchen. Das machte ich und es gelang mir, genug Essen zu finden, um uns über Wasser zu halten: Bohnen, Tomaten, etc.

Ich erinnere mich, dass ich nur einmal von deutschen Soldaten in der Nähe ihres Hauptquartiers verjagt wurde. 

Wie konnten uns auch waschen. Ich musste die Eimer ausleeren, reinigen und Wasser aus Großmutters Brunnen in der Nähe des Meeres holen. Ich war der einzige von uns fünf, der das Haus verließ. Das tat ich zweimal am Tag, in der Früh und am Abend. 

Eines Tages, im August oder September, mussten wir schließlich auf einem der Lastautos Benghazi verlassen. Großmutter bereitete für jeden von uns Gepäck vor - ein bisschen Essen, Decken. Als wir die Hauptstraße nach Tripoli erreichten, hielt uns eine deutsche Straßensperre auf und wir mussten umkehren. Man befahl uns, abzusteigen, und wir machten uns auf den Weg zu Großmutters Haus in der Nähe des Meeres. Als wir dort ankamen, sagte ihr arabischer Nachbar, es sei besser für uns, nur eine Nacht zu bleiben, das Stadtgebiet zu verlassen und in ein bestimmtes Dorf weiter draußen zu gehen, wahrscheinlich wegen der Luftangriffe. Er hatte schon seine eigene Familie dorthin geschickt. Am nächsten Tag brachen wir auf und meine Schwester und ich erinnern uns, dass wir auf dem Weg aus der Stadt hinaus am jüdischen Friedhof rasteten und schliefen. Nachdem wir den ganzen Tag gewandert waren, kamen wir am Abend in das kleine Dorf, das aus Lehmhütten bestand und in dem sich alles rund um den Brunnen in der Dorfmitte abspielte. Der arabische Nachbar begleitete uns zum Dorf, da seine Familie dort war. Wir blieben dort bis zum Kriegsende. Wir bekamen eine kleine Holzhütte mit nur einem Raum und ernährten uns von den Lebensmitteln, die der arabische Nachbar meiner Großmutter gelegentlich brachte: Brot, Bohnen, Brunnenwasser. Wie zuvor, bezahlte sie unser Überleben von Zeit zu Zeit mit einem ihrer Schmuckstücke.

Wir waren die einzige jüdische Familie in der Umgebung und standen unter Schutz bis Anfang 1943, als uns Großmutter befahl, unsere Habseligkeiten einzusammeln. Wir kehrten nach Benghazi zurück, in unsere Wohnungen, die beide aufgebrochen worden waren.

Leben nach dem Zweiten Weltkrieg

BD: Jetzt war die britische Armee wieder zurück und mit ihr kamen Soldaten aus Indien und Neuseeland. Sie waren großzügig mit ihren Lebensmitteln, die uns am Leben hielten; Marmelade, Käse und Tee. Wir ließen uns in der Wohnung im dritten Stock nieder. 

Mein Onkel, der sieben Jahre älter war als ich, nahm die Zügel in die Hand.

Zu diesem Zeitpunkt kamen die Soldaten von der „Jüdischen Brigade” der britischen Armee. Sie sprachen Hebräisch und suchten die Juden. Die jüdischen Soldaten beschützten uns, gaben uns Essen und organisierten für uns eine Schule, eine Klasse mit 40 oder 50 Kindern, bis die Überlebenden des italienischen Konzentrationslagers Jadu (Giado)2 anfingen zurückzukommen. Und dann machten sie zusätzliche Klassen auf. Man muss sich vorstellen, dass sich die Stadt, die nur wenige Tage zuvor eine Geisterstadt gewesen war, unter dem Einfluss der Briten und besonders der jüdischen Soldaten vollkommen verwandelte: Der Schulunterricht fing wieder an, es gab Bücher, Bleistifte, Tafeln - und alles war auf Hebräisch. Die Schule hieß Talmud Thora. Sie alle trugen Uniformen und unterrichteten - unter anderem – zionistisches Gedankengut mit Hilfe von Liedern. Ich erinnere mich an die Keren Kajemeth Marken mit Bildern von Ein Harod und anderen Kibbutzim. Das war ganz klar dazu gedacht, Konzepte über Israel zu vermitteln. Wir fingen an, Hebräisch zu sprechen. Ich sprach Hebräisch mit meinem Bruder und ich lernte Arithmetik auf Hebräisch. Einige Soldaten blieben illegal und unterrichteten uns weiter. Aber ein junger Mann namens Skolnick hatte begonnen, Einheimische auszubilden, damit sie die erzieherischen Bemühungen übernehmen konnten. 
Einige jüdische Soldaten lernten jüdische Mädchen aus Benghazi kennen und heirateten sie. Es gab auch fiktive Eheschließungen zwischen Soldaten und einheimischen Mädchen, damit sie „legal” nach Palästina einreisen konnten, und einigen einheimischen Jugendlichen, die sogar britische Uniformen trugen und einen Armeeausweis der jüdischen Soldaten hatten, die in Benghazi blieben. 

Einer meiner Onkel - der Bruder meines Vaters namens Benjamin Dadosh - war der zweite Jude, der im Lager Jadu starb. Meine Onkel erzählten mir, dass die Leute dort an Hunger und Krankheiten starben. Es gab keine Familie, die nicht einen Angehörigen im Lager verloren hatte.

Auswanderung nach Palästina

BD: 1946 kamen fünf Einwanderungszertifikate aus Palästina in unserer Schule in Libyen an. Ich gehörte zu den Schülern, die ein Zertifikat empfingen. Ich habe noch immer eine Kopie davon. Ich weiß nicht, ob es eine Auslosung gab, oder wie ich das Zertifikat bekommen habe. Aber sie sagten, sie hätten gute Schüler aus den höheren Klassen genommen. Ungefähr um dieselbe Zeit kam ein Schiff mit Rindern, aus Palästina. Das Schiff hieß „Alisa”.

1946 fuhr ich auf dem Schiff Alisa nach Palästina, zusammen mit den Rindern, und begann mein neues Leben. Wir fünf aus Benghazi gingen in das Jugenddorf Ben Schemen. Die anderen Leute sahen uns seltsam an, als hätten sie noch nie Juden aus Nordafrika gesehen. Das Personal kam aus Deutschland und wusste nicht, wer wir waren und wie sie uns behandeln sollten. Bald bemerkten sie, dass wir höflich waren und Hebräisch sprachen. Sie beschlossen, uns sofort auf eine landwirtschaftliche Schule zu schicken und uns so bald wie möglich zu integrieren. Wie hatten keine Ahnung von Physik oder Chemie, aber nach drei Monaten saßen wir da und lernten alles: Physik, Chemie, Mathematik. Wir hatten Schwierigkeiten mit Musik, vor allem mit klassischer Musik, da wir drei Jahre lang, den ganzen Krieg über, keine Musik gehört hatten. Wir wussten auch nichts über Kunst; wir hatten noch nie gehört, dass Bilder zu den Betrachtern „sprechen” konnten.

Mit meinem Gepäck und dem Palästinazertifikat aufs Schiff zu gehen, gehört zu den schwierigsten Augenblicken in meinem Leben, denn ich musste meine Großmutter und meine Geschwister zurücklassen. Ich machte mir aber keine Sorgen um sie, denn sie verdienten jetzt gut und bald gehörte meinem Onkel das größte Geschäft in Benghazi.

Ein neues Leben aufbauen

Als er 16 Jahre alt war, diente Benjamin im vorstaatlichen Palmach und verteidigte mit einer Gruppe von ungefähr 200 jungen Männern und Frauen das Jugenddorf Ben Schemen. Er gehörte zur Yiftach Brigade (11. Brigade) und nahm an der israelischen Militäroffensive „Miwtza Dani”3 teil. Später war er Soldat in der israelischen Armee und kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Abnutzungskrieg, im Sechs Tage Krieg und im Yom Kippur Krieg.

Ende 1949 traf Benjamins Großmutter gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Schwester in Israel ein. Benjamin kümmerte sich darum, dass seine Geschwister in die Jugend-Aliyah4 aufgenommen und in Kibbutzim5 untergebracht wurden, wo man sie gut behandelte. Zur gleichen Zeit kam auch Benjamins Vater nach Israel, zusammen mit seiner neuen Frau und ihrem Kind. Benjamin hatte seinen Vater seit 1941 nicht gesehen.

Benjamin heiratete Sara und die beiden haben einen Sohn, Gil, der mit Nadine verheiratet ist, und eine Tochter, Sarit, die Ehefrau von Kobi. Benjamin hat auch sechs Enkelkinder.

Benjamin besuchte einen Kurs in Wirtschaft und begann für die größte Pensionsgesellschaft in Israel - Mivtachim – zu arbeiten, als kleiner Angestellter, der Briefe öffnete. Als er 40 Jahre später in Pension ging, war er der Generaldirektor der Gesellschaft.

Benjamin Dadoshs Botschaft

BD: Meine Botschaft an die Schüler ist, über das Schicksal der Jüdinnen und Juden in Nordafrika zu lernen. Vieles wurde über den Holocaust in vielen Sprachen geschrieben. Bitte lernt, dass es auch uns geschehen ist. Unser Schicksal war mit jenem der italienischen Jüdinnen und Juden verbunden. Es war nur eine Frage der Zeit, und wir hatten Glück, dass der Krieg in Libyen vor dem Krieg in Europa zu Ende war.