Lichtflecke - Frau sein im Holocaust

Glaube

Livia Koralek

Am Abend des Versöhnungstages Jom Kippur 1944 hielt Livia eine Predigt vor den Frauen im Lager. Sie sprach über die Möglichkeit einander etwas geben zu können, das immer besteht und unendlich ist:  Liebe.

Livia wurde 1921 in Győr, Ungarn, geboren und im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert. Im August kam sie ins Lager Parschnitz (Sudetenland), wo sie in einer Fabrik arbeitete, die Flugzeugteile herstellte.

Die Predigt hielt Livia auf Bitten von Freundinnen. „Ich wollte kein Kapo oder irgendeine Anführerin sein. Das war gar nicht nötig. Ich wollte uns lediglich Mut zusprechen.“ Die Frauen aßen ihre Brotrationen am Jom Kippur nicht, sondern versteckten sie unter ihren Kopfkissen.

Am Pessachfest wollten die Frauen ein traditionelles Sedermahl veranstalten, was die Wächter jedoch verhinderten. Livia nahm in der Pessachwoche kein Brot zu sich.
Nach dem Krieg heiratete sie Aladar (Jehuda) Spiegel und emigrierte mit ihrer Familie nach Israel.

Ich bitte Gott im Namen aller um Vergebung, sollten wir unsere Eltern, Verwandte, Geschwister und Freunde beleidigt haben. Wir bitten Gott um Vergebung im Namen unserer Lieben, von denen wir getrennt sind und bei denen wir uns nicht entschuldigen können.

Ich erinnere mich, dass unser Rabbiner in Raab uns versammelte, bevor er nach Auschwitz gebracht wurde, und uns u.a. sagte: „Nicht der Ort heiligt den Menschen, der Mensch heiligt den Ort.“

An diesem heiligen Tag werden wir einer Prüfung unterzogen. Wir müssen dem Gebot gehorchen: „Du sollst nicht stehlen.“ Jeder von uns bekommt die gleiche winzige Tagesration und muss sich damit zufrieden geben. Ich spüre, dass Gott unsere Gebete hören, unsere Tränen trocknen und uns mit den Worten des Gottesdienstes antworten wird: „Ich habe dir vergeben.”

Aus der Predigt, die Livia (Chana) Koralek im Lager Parschnitz am Jom Kippur 1944 hielt
Livia (zweite von rechts) mit ihren Studenten. Csorna, Ungarn 1943Livia (zweite von rechts) mit ihren Studenten. Csorna, Ungarn 1943