Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschieden die kommunistischen Behörden in Polen ein polnisches Staats- und internationales Museum im früheren Konzentrationslager Auschwitz I zu eröffnen. Sie beschlossen, das Vernichtungslager Auschwitz II/Birkenau, das etwa drei Kilometer von Auschwitz I entfernt war, in dem Zustand zu lassen, in dem es sich zum Zeitpunkt der Befreiung befunden hatte. Ein Denkmal wurde dort errichtet und danach eine Gedenkausstellung im Gebäude der „Sauna“ hinzugefügt. Neben der Hauptausstellung des Staatlichen Museums in Auschwitz I ließen die kommunistischen Behörden noch verschiedene nationale Ausstellungen in den früheren Gefangenenblocks eröffnen sowie in den späten 1960er Jahren eine jüdische Ausstellung im Block 27. Im Laufe der Jahre veralteten diese nationalen Ausstellungen allmählich, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf ihre Darstellung. Die Ausstellung im Block 27 wurde marode, verwahrloste und die meisten Besucher des Lagers entschieden, sie erst gar nicht zu betreten. Einige jüdische und israelische Gruppen jedoch gingen in diesen Block, um für ein paar Minuten nachzudenken und der Opfer des Holocaust zu gedenken.
In den frühen 1990er Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, begannen viele Länder, ihre Ausstellungen in Auschwitz zu modernisieren und inhaltlich zu überarbeiten. Der Gegenstand der nationalen Ausstellungen wurde präziser: Sie behandeln nun das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, beginnend mit deren Leben vor dem Krieg, zeigen deren Verfolgung, Konzentration in Lagern und die Deportationen in den „Osten" sowie ihren Tod. Auch das Staatliche Museum beschloss, seine ursprüngliche Ausstellung zu erneuern, und so begann vor Kurzem ein Prozess in diesem Sinne. Nach dem Besuch des Ministerpräsidenten Ariel Sharon in Auschwitz-Birkenau im Jahre 2005 traf die Regierung von Israel im Namen des jüdischen Volkes die Entscheidung, eine neue Dauerausstellung im Block 27 zu schaffen. Yad Vashem wurde mit der Konzeption und Umsetzung der neuen Ausstellung beauftragt, die von dem Staat Israel mit Hilfe der Claims Conference gefördert wurde.
Yad Vashem stand damit vor einer großen Herausforderung. Im Kern wurden die drei folgenden Hauptfragen erörtert: Was soll das Thema der neuen Ausstellung sein? Wie soll sie gestaltet werden? Und wie könnten Thema und Design kombiniert werden, um den Besuchern dieser Stätte – überwiegend junge Studenten – einen kurzen 20-30 minütigen Besuch als Teil einer umfassenden Führung zu ermöglichen? Unsere Antworten auf diese Fragen basierten weitgehend auf einer Auswertung der vorhandenen Ausstellungen durch das Staatliche Museum: deren Betrieb, das Profil der Besucher, die Projektvoraussetzungen für eine neue zentrale Ausstellung und der Status von Auschwitz als einer Stätte der Erinnerung an den Holocaust.
Die aktuelle Ausstellung im Staatlichen Museum besteht aus vielen eindrucksvollen und bewegenden Originalgegenständen. Die neue Ausstellung wird sich eingehender mit dem Schicksal der Juden in Auschwitz I und Birkenau befassen.
Die neue Dauerausstellung im Block 27 hätte sich mit dem Schicksal der Juden in dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau beschäftigen können. Alternativ hätten wir auch entscheiden können, ausschließlich den Holocaust der Juden in Polen zu thematisieren. Wir dachten auch darüber nach, darzustellen, wie die Juden auf den Holocaust reagierten, als Nachrichten darüber zu ihnen durchdrangen, oder aber aufzuzeigen, wie der Prozess ihrer Rückkehr in das Leben nach dem Holocaust verlaufen ist. Aber unsere Betrachtungen und Überlegungen brachten uns zu dem Schluss, dass wir uns mit der Shoah – der Ermordung des jüdischen Volkes – in seiner Gesamtheit beschäftigen müssen. Doch anstatt einer historischen Darstellung, die die NS-Verfolgung der Juden vor ihrer Massenermordung zeigt, beschlossen wir, so knapp wie möglich die grundlegenden Aspekte des Holocaust zu vermitteln, damit die Besucher verstehen, dass Auschwitz-Birkenau ein Bestandteil – obgleich ein zentraler - der größeren und komplexeren Geschichte der Shoah war.
Mit der Klärung des Inhalts der Ausstellung kristallisierte sich auch deren Gestaltung. Wir waren uns darüber im Klaren, dass die Darstellungssprachesprache fokussiert, kurz und klar sein sollte. Basisinformationen galt es in die Erfahrung zu integrieren, die der Besucher machen wird aufgrund der Tatsache, dass der Ausstellungsstandort sich an der historischen Stätte des Schreckens, der größten Todesfabrik seit Menschengedenken, befindet. Wir waren entschlossen, die Verbindung zwischen dem Inneren und Äußeren der Ausstellung beizubehalten. Daher wurde entschieden, die Fenster des Gebäudes sichtbar in ihrem ursprünglichen Zustand zu belassen, um so die unmittelbare visuelle Verbindung der Besucher mit dem umliegenden Lager zu erhalten.
Es wurde beschlossen, die Ausstellungsräume den folgenden grundlegenden Fragen zu widmen: Wie definiert man Shoah? Wer waren die Juden, die verfolgt wurden? Was waren die Beweggründe für die Vernichtung des europäischen Judentums und wie sind die Juden umgebracht worden? Wie gingen die Opfer mit den Ereignissen des Holocaust um – als Juden und Menschen? Und wie umfassend und weitverbreitet war die Bestrebung, sie auszulöschen?
Gleichzeitig setzten wir uns nachdrücklich dafür ein, die Namen der ermordeten Juden, jeder von ihnen ein Mensch, den Besuchern zu vermitteln.
Dieser komplexe Prozess ergab ein neues museologisches Konzept, einen einzigartigen Designplan, der sich von den Pfaden, die bisher von anderen historischen Museen der Welt beschritten wurden, unterscheidet. Kuratoren, Historiker, Philosophen, Künstler und Designer, sie alle haben an den Planungen mitgewirkt und ihren Teil dazu beigetragen. Der gemeinsame, daraus resultierende Ansatz wurde sowohl dem Interministeriellen Ausschuss des Ausstellungsprojekts vorgelegt als auch dem Internationalen Beirat, dem vor allem Historiker und Holocaust-Überlebende angehören und der von Prof. Elie Wiesel geleitet wird.
Die Führung des Staatlichen Museums begrüßte unser Konzept, da sie es als eine kontextuelle Ergänzung zu ihren anderen Ausstellungen sah. Allerdings wurde unser Vorschlag, die neue jüdische Ausstellung innerhalb des Vernichtungslagers Birkenau zu errichten, wo die Juden massenhaft vergast und verbrannt worden sind, abgelehnt gemäß dem Wunsch des Staatlichen Museums, Birkenau so weit wie möglich in seinem authentischen Zustand vom Ende des Krieges zu bewahren, und es nicht in ein Museum zu verwandeln.
Am Eingang der neuen Ausstellung „Shoah“ werden die Besucher mit einer klaren Begriffsdefinition von Holocaust konfrontiert; danach werden ihre Sinne mit den Worten und der Melodie eines Gebets durchflutet - ein jüdischer und universeller Ausdruck des menschlichen Geistes. Im angrenzenden Raum wird das lebendige, vielfältige und facettenreiche Leben der Juden in der Vorkriegszeit in Europa und Nordafrika durch eine 360-Grad-Filmmontage vermittelt, die die Besucher umschließt und wechselnde Original-Video-Auszüge des jüdischen Lebens zwischen den Kriegen zeigt. Nach diesem beeindruckenden Panoramablick, werden die Besucher mit den zentralen Grundsätzen der deutschen nationalsozialistischen Rassenideologie, der Hauptmotivation der Deutschen zur Vernichtung der Juden, konfrontiert. Dies bietet den wesentlichen Rahmen für die Präsentationen, die folgen. Als erstes kommt ein Raum, der die Ermordung der Juden zeigt; er enthält eine vergrößerte Karte, die die weite Geografie des Völkermords illustriert. Der anschließende Raum zeigt den menschlichen Kampf mit dieser neuen erschreckenden Realität, wie Millionen von Menschen kämpften, um ihre persönliche und gemeinschaftliche Würde zu bewahren. Der nächste Bereich ist den 1,5 Millionen jüdischen Kindern gewidmet, die während der Shoah ermordet wurden – eine inspirierte und herzzerreißende Zusammenstellung von Fragmenten authentischer Zeichnungen, die jüdische Kinder während des Holocaust gemalt haben und die von dem Künstler auf die umliegenden Wände kopiert worden sind. Danach folgt das einzigartige und monumentale „Buch der Namen", das Millionen von Namen ermordeter Juden enthält, welches speziell für diese Ausstellung entworfen worden ist. Zum Schluss erhalten die Besucher einen Einblicklick in das neue, wiedergewonnene Leben der Überlebenden und bekommen die Gelegenheit, über die unzähligen Fragen, die das beispiellose Ereignis in der Geschichte der Menschheit aufgeworfen hat, zu reflektieren.
Die neue Ausstellung ist damit in der Tat ein einzigartiger Ausdruck über die grundlegenden Dimensionen des Holocaust, weil sie den Menschen ganz und gar in ihr Zentrum stellt. Abschnitt für Abschnitt vermittelt die Ausstellung die zentralen Themen des Holocaust, die nicht speziell historisch sind, sondern vielmehr eine tiefgreifende, ethisch-kulturelle Dimension des Holocaust-Gedenkens präsentiert. Dies soll bei dem Besucher eine tiefe, bedeutende und refektierende Einsicht erwecken in Bezug auf unsere fundamentalen moralischen Grundsätze als Menschen und als Mitglieder der heutigen globalen Zivilisation.
Mitarbeiterverzeichnis
Die Ausstellung wurde vom Staat Israel und Yad Vashem mit der Unterstützung der Claims Conference und in Koordination mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau erstellt.
Vorsitzender des Interministeriellen Hauptausschusses
Dr. Shimshon Shoshani
Vorsitzender des Internationalen Beirats
Prof. Elie Wiesel
Ausführender Direktor und Ausstellungskurator
Avner Shalev
Projektmanager
Ishai Amrami
Senior-Kuratorin
Yehudit Inbar
Historiker
Dr. Avraham Milgram
Kuratorin
Rinat Harris-Pavis
Senior-Kuratorin für Fotografie
Nina Springer-Aharoni
Filmproduktionsberaterin
Liat Benhabib
Original-Filmmaterial-Forschung
Efrat Komisar
Architektur und Gestaltung
Studio de Lange Ltd. – Chanan de Lange & Tal de Lange, Shirley Marco
Visuelle Kommunikationsgestaltung
Adi Stern, Yael Burstein, Ori Succary
Ausstellungsproduktionsleiterin
Orit Hall
Bauleitung
Shimon Kornfeld – Tafnit Wind Ltd.
Baufirma
Tomasz Francuz
„Ani Ma'amin, ich glaube – Gebet”
Videoinstallation: Hagit Shimoni
„Jüdisches Leben zwischen den beiden Weltkriegen"
Multimedia-Installation: Niv Moshe Ben David
Produziert von 8ND
Musik: Moshe Baavour
Tongestaltung: Chen Nevo
„Antisemitische NS-Ideologie"
Tongestaltung: Ishai Adar
Filme „Wie Juden während des Holocaust zurechtkamen"
Regisseurin: Noemi Schory
Produzentin: Alona Schory, Belfilms
„Spuren des Lebens", Wandzeichnungen und Stimmen
Michal Rovner
„Das Buch der Namen"
Gestaltung: Chanan de Lange
Quelle: Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer
– Halle der Namen, Yad Vashem-Archiv
Produktion: Abteilung für Informationstechnologie, Yad Vashem
„Rückkehr ins Leben"
Multimedia -Installation: Niv Moshe Ben David
Produziert von 8ND
Fotografie für Online-Ausstellung
Niv Moshe Ben David, Pawel Sawicki