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Das Individuum und die Gemeinschaft in den Dokumentarfilmen „Zeitzeugen und Pädagogik“

Für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe
Dauer
: ca. 90 Minuten

  1. Wa'ad Arba' Aratzot, hebräisch für „Ausschuss der vier Länder“, war die höchste jüdische Institution zur Selbstverwaltung im Königreich Polen, Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1764.
  2. Der Mohel ist für die Beschneidung zuständig. 
  3. Joint ist die Kurzform des American Jewish Joint Distribution Committee. Es wurde 1914 in den USA gegründet und stellte eine jüdische Hilfsorganisation für Jüdinnen und Juden vor allem in Europa dar.
  4. Das Neologische Judentum entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Ungarn und besteht noch bis heute. Es ist eine Abspaltung vom traditionellen konservativen Judentum.

Einleitung

„Zeitzeugen und Pädagogik“ ist ein einzigartiges Projekt von Yad Vashem, in dessen Rahmen pädagogische Filme produziert wurden, die das Leben von Holocaustüberlebenden vor, während und nach der Shoah darstellen. In diesen Filmen werden die Lebenserinnerungen der Holocaustüberlebenden erzählt. Die Filme folgen den Spuren ihres Lebens in ihre Kindheit und Jugend vor dem Holocaust, zu den Orten, an denen sie den Holocaust erlebten, und enden dort, wo sie nach dem Krieg lebten. Bei der Betrachtung der Filme kann man - unter anderem – viele Beispiele von jüdischer Solidarität finden. Hilfe, Unterstützung und Solidarität waren für die Opfer wichtig. Sie haben ihnen Kraft und Hoffnung gegeben und ihnen manchmal sogar das Leben gerettet. Teilweise stellte sich das Individuum im Kampf ums Überleben aber über die Gemeinschaft, was Probleme und moralische Dilemmata aufwarf.

Zielsetzung der Unterrichtseinheit

  1. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit den persönlichen Geschichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vertraut werden.
  2. Die Bedeutung der jüdischen Solidarität als wichtiges Lebensprinzip der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von den Tagen ihrer Kindheit bis zu ihrer Befreiung anhand der persönlichen Erzählungen herausgearbeitet werden.
  3. Es soll versucht werden, die Bedeutung von Gemeinschaft in der jüdischen Gemeinde und der jüdischen Familien zu verstehen. Im Laufe der Unterrichtseinheit wird diese Bedeutung vor dem Hintergrund der Tatsache untersucht, dass die Gemeinschaft für das Individuum oft eine schwere Bürde oder sogar den sicheren Tod darstellte.

Hinweis für die Lehrenden
Für diese Unterrichtseinheit wurden Ausschnitte aus den Überlebendenberichten ausgewählt und den oben aufgeführten Themen zugeordnet. In den einzelnen Themenfeldern tauchen aber immer wieder dieselben Personen auf, so dass die Schülerinnen und Schüler sie wieder erkennen können. Da diese Unterrichtseinheit eine große Auswahl an Diskussionsthemen bietet, ist es empfehlenswert, nur einige Themen auszuwählen, um eine tiefergehende Diskussion der Fragestellung zu ermöglichen.

Struktur der Unterrichtseinheit

Historischer Hintergrund:

Bevor die Filme angesehen werden, sollte das Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft im Kontext der jüdischen Gemeinde betrachtet werden. Im Lebensraum orthodoxer Jüdinnen und Juden zum Beispiel spielt die Gemeinde und die Gemeinschaft eine wichtige Rolle, die zu schützen ist und die Schutz bot. Seit den Anfängen des Lebens in der Diaspora versuchten die traditionellen jüdischen Gemeinden, ihren Glauben, ihre Werte und ihren gemeinschaftlichen Lebensstil zu bewahren, um ihre Existenz in einer nichtjüdischen Umgebung zu sichern. Neben der Erfüllung der religiösen Gebote und der Bewahrung der jüdischen Tradition, die in der Gemeinde ausgeführt wurde (wie zum Beispiel die Gottesdienste), gab es in der Gemeinde öffentliche Institutionen, die alle Bedürfnisse des Individuums erfüllten und die Integrität der Gemeinde bewahrten; vom Ritualbad und der Chewra Kaddischa (Beerdigungsgesellschaft) über die Wohltätigkeitsvereine zu den Dachorganisationen (Wa´ad Arba´a Ha´Arzot – „Ausschuss der vier Länder“1), vom Rabbiner der Gemeinde, über das Rabbinatsgericht, zum Mohel2 und dem Melamed (dem Lehrer).

Aber auch der Platz des Individuums wurde in der Orthodoxie bewahrt und soziale, wirtschaftliche und religiöse Vorschriften schützten den Einzelnen. Obwohl sich einige orthodoxe Gemeinden modernisierten, blieben deren Institutionen oft intakt. So erfüllte zum Beispiel der Melamed (Lehrer) weiterhin die Aufgabe zuerst den Unterricht im Cheder (traditionelle, religiös geprägte Schule) und später in der Schule durchzuführen. Anstelle des „Ausschusses der vier Länder“ wurden überkommunale Organisationen wie der Joint3 gegründet. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass in dieser Zeit die Betonung auf dem Individuum lag; der Einzelne und seine Bedürfnisse standen seit der Aufklärung im Mittelpunkt der Erziehung. Diese Prozesse beeinflussten auch die jüdische Gesellschaft, was zur Gründung kultureller, sozialer und politischer Bewegungen und zu pluralistischen politischen und religiösen Strömungen führte.

A. Jüdische Solidarität vor dem Holocaust

Hanna Bar Yescha, eine Holocaustüberlebende aus Ungarn, beschreibt in ihrem Film Sie war dort und sie hat es mir erzählt ein vielfältiges jüdisches Leben in Ungarn. Als Tochter einer orthodoxen Familie besuchte sie mit ihren Eltern in den Ferien eine neologe4 Synagoge in Budapest. Ihr Vater betrachtete diesen Besuch als eine wichtige Lektion für seine Tochter, um den Reichtum der verschiedenen Strömungen des Judentums kennenzulernen und diese zu akzeptieren.

In seinem Film Mein Lodz existiert nicht mehr führt Josef Neuhaus die Zuschauer in die Welt seiner Kindheit, das jüdische Viertel von Lodz. Jeder dritte Einwohner von Lodz war Jude. Als die Städte am Beginn ihrer Entwicklung standen, zogen Jüdinnen und Juden verschiedener religiöser Strömungen in die großen Städte, wo sie wirtschaftliche Sicherheit zu finden hofften. Dort bauten sie verschiedene jüdische Gemeinden auf.

Owadjah Baruch wurde in Salonika geboren und gehörte zu einer sephardischen jüdischen Gemeinde. Die meisten Juden in Salonika arbeiteten in verschiedenen Sektoren des städtischen Hafens. Viele Jahre lang blieb der Hafen wegen der großen Zahl jüdischen Arbeiter am Samstag geschlossen. Salonika wurde machmal als jüdische Stadt betrachtet, da so viele Jüdinnen und Juden in der Stadt lebten und sie einen solchen Einfluss auf den Hafen ausüben konnten. In seinem Film Dir in Liebe gedenken geht es unter anderem um die Verbindung zwischen Owadjah, dem Sohn eines Arbeiters, und dem Rabbiner der Gemeinde.

Die Geschichte von Abraham Aviel ist außergewöhnlich. Er wurde in Dowgalishok, einem kleinen Bauerndorf in Weißrussland, geboren, wo zwölf Familien lebten – darunter neun jüdische Familien. Die Kinder wurden zum Lernen in den Cheder geschickt und dann in die kleine Jeschiwa im nahegelegenen Radun. Das bunte jüdische Leben im Grenzgebiet wird im Laufe des Films Es gab niemanden, zu dem ich beten konnte dargestellt und setzt sich unter anderem mit der jüdischen Solidarität auseinander, die zwischen den großen und kleinen Gemeinden herrschte.

Fanni und Betty, zwei Schwestern aus der Familie Eisenhäuser, wurden in Frankfurt am Main geboren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wanderte die Familie nach Amsterdam in den Niederlanden aus. In ihrem gemeinsamen Film Woher wird meine Hilfe kommen beschreiben die Schwestern ihre Kindheit und ihre Integration in die zionistische Jugendbewegung, die sie dabei unterstütze mit den Schwierigkeiten der Auswanderung umzugehen. In der Jugendbewegung fanden die beiden Freundinnen und Freunde sowie Ideale, die für sie eine Art Rettungsanker waren.

Fragen zur Diskussion:

  • Wie drückte sich die jüdische Solidarität vor dem Holocaust aus?
  • Beschreiben Sie Beispiele für jüdische Solidarität in der Gemeinde.

Mit dem Beginn der Besetzung durch NS-Deutschland begann die Krise der jüdischen Gemeinschaft während des Holocaust. In seinem Film Von Generation zu Generation beschreibt Israel Aviram den Übergang des vorherigen Lebens in das Leben unter der deutschen Besatzung und den Versuch, ein jüdisches Gemeindeleben und öffentliche Gebete in den privaten Wohnungen Lodz aufrechtzuerhalten.

B. Das Individuum und die Gemeinschaft während des Holocaust

Die Zeit der deutschen Besatzung und des Lebens im Ghetto sind durch die Versuche charakterisiert, das Leben innerhalb der Gemeinschaft trotz der nationalsozialistischen Verfolgung zu bewahren. Je mehr der Terror anstieg und der tägliche und individuelle Überlebenskampf vorrangig wurde, desto mehr verlor die Gemeinschaft an Einfluss. Trotz der Schwierigkeiten existierten die Einrichtungen der Gemeinde – wenn auch eingeschränkt – weiter, solange dies möglich war: Synagogen wurden weiter betrieben, Erziehungsinstitutionen waren im Geheimen tätig, Jugendgewegungen wurden aufgebaut. Es existierten kulturelle Vereine, Theater und vieles mehr. Zwangsläufig veränderten diese Institutionen oft ihre Form und ihr Wesen, und es wurden auch spontan alternative Einrichtungen ins Leben gerufen.

Mit der Errichtung der Ghettos und der Zwangsumsiedlung der Jüdinnen und Juden aus den Städten und Dörfern in die Ghettos wurden die Einrichtungen der jüdischen Gemeinden vollständig aufgelöst. So wurde auch die Familie von Abraham Aviel gezwungen, in das Ghetto in Radun, das in der Nähe seines Heimatdorfes Dowgalishok lag, zu ziehen. Abraham beschreibt einerseits die Schwierigkeiten, die der Abschied vom Vertrauten mit sich brachte, und das Elend in den Häusern im Ghetto, in denen mehrere Familie auf engsten Raum zusammengepfercht waren. Andererseits betont er die Solidarität untereinander.

Fragen zur Diskussion:

  • Welche unterschiedlichen Arten der Hilfeleistung und der Solidarität im Ghetto beschreibt Abraham Aviel in seinem Zeitzeugenbericht?

Neben der offiziellen, von den deutschen Besatzern unter Zwang eingesetzten Ghettoselbstverwaltung, dem Judenrat, existierten alternative Organisationen, die unter anderem in den Jugendbewegungen ihren Ausdruck fanden. In den großen Ghettos waren viele Jugendbewegungen aktiv, die die verschiedenen politischen Richtungen repräsentierten und die – wenn auch eingeschränkt – in den Ghettos weiterhin bestanden. Die Jugendbewegungen hielten die Verbindung zwischen den verschiedenen Ghettos aufrecht und versuchten die Schulen, die in Folge der Besetzung für jüdische Kinder geschlossen worden waren, zu ersetzen. Der Zeitzeugenbericht von Israel Aviram schildert die Bedeutung der Jugendbewegung für sein Leben als heranwachsender Junge im Ghetto und auch deren Bemühungen, das Leben der gefährdeten Jugendlichen zu schützen.

In vielen Ghettos standen Hunger, Krankheiten und Epidemien an der Tagesordung. Josef Neuhaus beschreibt, wie seine Familie hungerte und wie versucht wurde, mit dieser Realität umzugehen und das gesellschaftliche Leben im Ghetto, das trotz des Hungers bestand fortzuführen.

Fragen zur Diskussion:

  • Worin liegt für Josef Neuhaus die Bedeutung einer Familie?
  • Was erfahren wir aus den Standbildern am Anfang des Films über die Verantwortung des Judenrates im Ghetto Lodz?
  • Es sollte darauf hingewiesen werden, welche Bedeutung das Erhalten eines Geschenks im Ghetto hatte – ein Geschenk, wenn auch noch so trivial, zum Geburtstag zum Beispiel, bedeutete auch immer einen Verzicht von demjenigen, der etwas schenkte.

Im späteren Verlauf des Films kehrt Josef Neuhaus immer wieder zur Rolle der Familie im Ghetto zurück. Die Familiengemeinschaft bietet dem Einzelnen Schutz und unterstützt ihn dabei die Schwierigkeiten des Lebens im Ghetto zu meistern (z. B. den Hunger). Aus diesem Zeitzeugenbericht lässt sich erkennen, wie die Grenzen der Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, die einzelnen Familienmitglieder zu schützen, immer enger gezogen wurden.

Fragen zur Diskussion:

  • Wie äußert sich die Bedeutung der Familie für das Individuum in diesem Zeitzeugenbericht?

Abraham Aviel beschreibt den Augenblick des Nachhausekommens nach der Aktion in deren Verlauf seine Mutter und sein kleiner Bruder ermordet wurden. Da Radun in der ehemaligen Sowjetunion lag, wurden die Jüdinnen und Juden in ein Ghetto umgesiedelt, welches mit der Zeit immer strenger bewacht wurde, bis zur totalen Isolation von der Außenwelt. Eines Tages wurden alle Jüdinnen und Juden auf den Marktplatz getrieben und der Reihe nach erschossen. Abraham und sein Bruder schafften es zu fliehen. Einige Tage später fanden sie ihren Vater, der sich bei einem befreundeten polnischen Bauer versteckt hielt. Sie beschlossen, sich zu trennen, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen Abraham Aviel überlebte den Krieg auf sich allein gestellt in den Wäldern Weißrusslands. Dieser Zeitzeugenbericht beschreibt sowohl die Leere, die nach den Morden der Bevölkerung bestand, als auch die die Solidarität, die zwischen den Brüdern existierte. Darüber hinaus beschreibt Abraham Aviel den Willen zu überleben und sich notfalls in die Wälder zu flüchten, um sich dort anderen Jüdinnen und Juden anzuschließen.

C. Die Einsamkeit auf der Flucht und im Versteck

Oft löste der Entschluss, zu fliehen oder sich in ein Versteck zu begeben, die Kernfamilie auf. Die Schwierigkeiten, die das Verstecken einer ganzen Familie mit sich brachten, oder die Gefahren, die mit der Flucht ganzer Gruppen verbunden waren, machten die Aufteilung von Gruppen notwendig. Manchmal fand sich nur ein Versteck für kleine Kinder, manchmal waren jedoch ausgerechnet sie ein Hindernis für die ganze Familie, und es kam zu schmerzvollen Trennungen. Diese Trennungen waren oft von Schuldgefühlen begleitet. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den Dokumentarfilmen wurden manchmal von Angehörigen der lokalen Bevölkerung aufgenommen. Diese riskierten ihr Leben um sie zu retten. Einige fanden Unterschlupf in der Stadt, andere in Dörfern. Und es gab solche, die Zuflucht in den Wäldern fanden und sich einer Partisanengruppe anschlossen.

Während Fannis kleiner Sohn Uri in einer Pflegefamilie aufgenommen wurde, versteckte sie sich mit ihrem Ehemann bei einer Familie im Dorf. Betty blieb bei ihrer Mutter, da sie diese nicht allein lassen wollte. Es war eine schicksalsträchtige Entscheidung, die das Leben beider beeinflusste.

Im Gegensatz zur Geschichte der beiden Schwestern, schloss sich Abraham Aviel nach der Ermordung des Großteils seiner Familie den Partisanen an. Es gelang ihm, den täglichen Lebenskampf in den Wäldern zu bestehen. Der Vater hatte seinen Söhnen beigebracht, wie man in der Wildnis überlebte und hatte bestimmt, dass die beiden sich trennen sollten.

Fragen zur Diskussion:

  • Welchen Prozess durchliefen diese jüdischen Familien, wenn sie gezwungen war, sich zu verstecken? Was erfahren wir über das Gleichgewicht zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft in dieser Zeit?

Nach der Ermordung ihrer Mutter und ihres Bruders blieben Malka Rosental und ihr Vater allein zurück. Ihr Film Für dich wird sich der Himmel öffnen beschreibt die Flucht von Vater und Tochter, ihr Leben in den Wäldern und die Suche nach Verstecken. Schließlich schloss sich der Vater den Partisaninnen und Partisanen an und ließ Malka bei der Familie Koth zurück, einer einfachen Bauernfamilie, die ihr Leben riskierte, um Malka zu retten. Malka lebte eineinhalb Jahre allein in einem Holzfass, bis ihre Retterinnen und Retter gezwungen waren, Malka aus dem Fass zu holen, da sie um das Leben des Mädchens fürchteten.

Fragen zur Diskussion:

  • Welche Überlebensstrategien eignete sich Malka im Versteck an?

D. Die Lager

In den meisten Fällen bedeutete die Deportation in die Konzentrationslager die physische Trennung der Familienmitglieder. Wenn Familien nach der Selektion zusammenblieben, wurden sie oft im Verlauf des Lageraufenthaltes getrennt. Vieles wurde über die Anpassung der Häftlinge an die Lagersituation, über die Lebensbedingungen, über den Hunger und die Krankheiten, die Zwangsarbeit, die körperlichen und seelischen Qualen geschrieben. In diesem Kapitel soll untersucht werden, wie sich Menschlichkeit und Solidarität im Lager zeigten, obwohl das Grauen allgegenwärtig war. Es war kein trivialer Akt, wenn ein Häftling einem anderen half. In der Realität des Lebens im Konzentrations- und Todeslager war der Versuch, einer oder einem Mitgefangenen zu helfen, fast unmöglich. Aber wie verschiedene Beispiele gegenseitiger Hilfe, Unterstützung und Solidarität zeigen, waren sie für die Opfer oft ungemein wichtig. Sie vermittelten das Gefühl, nicht allein zu sein, ließen Hoffnung schöpfen und trugen so manchmal sogar dazu bei, Leben zu retten.

Die Deportation dauerte oft Tage oder Wochen und fand unter unmenschlichen Bedingungen statt. Viele Deportierte überlebten die Deportation nicht. Israel Aviram wurde zusammen mit seinen restlichen Familienmitgliedern aus dem Ghetto Lodz deportiert. Als er in den Eisenbahnwaggon stieg, traf er zufällig zwei Freunde aus der Jugendbewegung. Selbst in der schrecklichen Atmosphäre des Waggons vergaß Israel Aviram niemals seine Aufgabe und seine Verpflichtung als Vorbild, das er für die beiden darstellte.

Fragen zur Diskussion:

  • Beschreiben Sie wie die Situation für Jüdinnen und Juden während der Deportation aussah?
  • Was lehrt uns das Verhalten von Israel Aviram im Waggon?


Während ihre Schwester und deren Familie – wie zuvor erwähnt - im Versteck blieben, wurden Betty Meir und ihre Mutter in das holländische Durchgangslager Westerbork deportiert. Betty arbeitete als Krankenschwester im Lager, in einer Baracke, die als Krankenstation diente. Sie nahm gefährliche Aufgaben an und riskierte ihr Leben für andere Häftlinge. Während der Dreharbeiten für den Film erinnerte sich Betty an ihren 20. Geburtstag, der im Lager gefeiert wurde und an das Geschenk, das sie erhielt.

Hanna Bar Yescha wurde zusammen mit ihrer Mutter nach Auschwitz deportiert. Sie beschreibt die Atmosphäre in der Baracke im Frauenlager in Birkenau nach dem Ende eines Tages voll harter Arbeit.

Fragen zur Diskussion:

  • Auf welche Weise half Betty ihren anderen Mitgefangenen?

Wie Hanna Bar Yescha zeigt auch Owadjah Baruchs Geschichte die Solidarität zwischen Häftlingen in Auschwitz. Die Mitglieder der griechischen Gruppe um Owadjah Baruch unterstützten sich gegenseitig in besonderem Maße und bewiesen viel Verhandlungsgeschick. Diese Eigenschaften waren im Lager ausschlaggebend und konnten für einen Häftling die Rettung bedeuten. Owadjah beschreibt, wie er im Lager eine vergleichsweise gute Arbeit in einer der Fabriken bekam, die ein Freund aus Saloniki für ihn organisiert hatte.

In den Lagern kamen viele Dilemmata auf. Wie soll man sich verhalten, wenn die Angst um die eigene Person oder um einen Freund auf Kosten anderer Häftlinge ging? Ein Teil der Tragödie des Lebens im Lager bestand darin, dass meistens die einzige Möglichkeit des Überlebens die war, sich gegen andere Häftlinge durchzusetzen. Das Überleben war das Hauptziel, leitete die Lagerhäftlinge und bestimmte ihre Handlungen und Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund ist folgende Episode aus Owadjah Baruchs Geschichte außergewöhnlich.

Im späteren Verlauf des Krieges kam es zu einer weiteren Phase der Vernichtung: dem Mord während der Todesmärsche. Hundertausende Häftlinge mussten tausende Kilometer marschieren, um Konzentrationslager in ganz Deutschland zu erreichen. Viele Gefangene wurden während der Märsche erschossen oder starben an Hunger und Entkräftung. Josef Neuhaus, der zusammen mit seinem Vater im Lager war, beschreibt den Todesmarsch von Braunschweig in das Lager Ravensbrück. Trotz seiner schwachen physischen Verfassung bestand Josef darauf, seinen Vater wochenlang zu tragen, um ihn damit am Leben zu halten.

Fragen zur Diskussion:

  • Welche Rolle spielte die Religion für Josef Neuhaus?
  • Wie beschreibt Owadjah Baruch seine Beziehung zu Alisa und welche Bedeutung hatte die Liebesgeschichte für ihn?

E. Befreiung und Rückkehr ins Leben

Nach der Befreiung waren viele Überlebende auf sich allein gestellt - ohne Familie, ohne Gemeinde, ohne Vermögen und ohne ein Dach über dem Kopf. Sie mussten ein neues Leben aufbauen, nach ihren Angehörigen suchen und entscheiden, wie es weitergehen sollte. Einigen gelang es, Verwandte oder Freunde ausfindig zu machen. In den meisten Fällen waren die Überlebenden jedoch gezwungen, ihr Leben allein aufzubauen und ganz neu anzufangen, begleitet von einer traumatischen Vergangenheit.

Nach der Befreiung kehrte Abraham Aviel nach Radun zurück, um die einzigen Überlebenden der Gemeinde ausfindig zu machen. Es war die Zeit der Hohen jüdischen Feiertage und die wenigen Überlebenden versammelten sich zum Jom Kippur Gottesdienst. Abraham Aviel, der einzige Überlebende seiner Familie, beschreibt seine Emotionen während des Gebets in seiner Rolle als Vorbeter.

Hanna Bar Yescha war bei der Befreiung erst dreizehn Jahre alt. Während der Dreharbeiten erinnerte sie sich an den Augenblick, als sie verstand, dass sie allein in der Welt stand. Sie beschreibt den Moment des Erkennens ihrer Einsamkeit und ihrer Verpflichtung gegenüber der eigenen Zukunft. Sie musste entscheiden, wohin sie sich wenden und wie sie ihr Leben weiterführen sollte.

Nach seiner Rückkehr nach Lodz und nach einer erfolglosen Suche nach seinen restlichen Familienmitgliedern, kamen Israel Aviram und sein Vater auf dem Weg nach Israel nach Deutschland. Sie gaben nicht auf, bis sie auf einer Liste Henia entdeckten, Israels Schwester.

Nach seiner Einwanderung in Israel schloss sich Josef Neuhaus der jüdischen Untergrundorganisation dem Palmach an und kämpfte im Unabhängigkeitskrieg. Josef beschreibt seine Verpflichtung seinen Kameraden gegenüber und seine Auffassung seiner Rolle als Sanitäter. 

Fragen zur Diskussion:

  • Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Frage der Gemeinschaft im Kampf um den einzelnen Menschen: Wie gingen die Überlebenden mit der Leere nach dem Holocaust um?

Zusammenfassung

Nachdem die Überlebenden alleine zurückblieben, suchten sie nach Angehörigen, fanden Partner und gründeten Familien. Sie schufen sich eine neue Familie, während für die meisten die Gemeinschaft vor dem Holocaust nur eine Erinnerung blieb. Viele waren ihr Leben lang mit der Erinnerung an diese verlorenen Gemeinden beschäftigt – der Verewigung der Familien und der Gemeinden.