Dr. Ella Lingens
Österreich
Dr. Kurt Lingens und seine Frau, Dr. Ella Lingens (geb. Reiner) waren beide Ärzte und lebten Ende der 1930er Jahre in Wien.
Kurt Lingens war Antifaschist, geboren 1912 in Düsseldorf in Deutschland. Sein Vater, der Polizeichef von Köln, verlor 1936 seine Stelle, weil er der katholischen Zentrumspartei nahestand, einer langjährigen Gegnerin des Nationalsozialismus, und weil er die Verfolgung von Katholiken durch die SA zu verhindern versucht hatte. Kurt Lingens selbst erhielt von den nationalsozialistischen Behörden Studienverbot wegen seiner antifaschistischen Aktivitäten als Student. Während des Krieges diente er als Assistenzarzt im deutschen medizinischen Korps.
Kurts Frau Ella, geb. in Wien 1908, war Doktor der Rechte und studierte Medizin an der Wiener Universität. Nach dem Anschluss begann sie Juden zu helfen, vor allem ehemaligen Kommilitonen. Während der „Reichspogromnacht" versteckte sie zehn Juden in ihrem Zimmer.
1939 lemte das Ehepaar Lingens Baron Karl von Moresiczky kennen, der bis zum Jahr 1939 ebenfalls Medizin an der Universität Wien studierte und der Antinazi und teilweise jüdisch war (mutterlicherseits). Sie wurden Freunde und Baron von Motesiczky lud die Lingens ein, während der Sommermonate in einem großen Haus zu wohnen, das er in dem Wiener Vorort Hinterbrühl besaß. Der Baron hatte häufig Juden und Mitglieder des antifaschistischen Widerstands zu Gast. Im Rahmen ihrer Widerstandsaktivitäten versteckten die Lingens mehrere Monate in den Jahren 1941 und 1942 die junge Jüdin Erika Felden in ihrer Wohnung. Dabei wurden sie von Freunden unterstützt, einem Ehepaar, das für die Verteilung von Lebensmittelkarten zuständig war. Dieses Ehepaar, beide Lehrer, legten mehrere Karten für Felden auf die Seite, so dass die Lingens sie im Versteck mit Nahrung versorgen konnten. Als Felden an einer Darminfektion erkrankte, gab die Haushälterin der Lingens ihr ihren Personalausweis, sodass sie einen Kassenarzt aufsuchen konnte. Dank der Hilfe des Ehepaars Lingens und der Haushälterin konnte sich Felden schließlich sagar unter falschem Namen einer Operation unterziehen.
Die Wohnung der Lingens blieb weiterhin ein Zufluchtsort für die jüdischen Freunde des Paares. Einige von Ihnen baten die Lingens, ihre Wertsachen aufzubewahren, damit sie Ihnen nicht geraubt würden. Andere baten die Lingens, ihre Beziehungen zu nutzen, um Ihnen bei der Flucht vor den Nazis behilflich zu sein. Eine dieser „Beziehungen" - ein jüdischer ehemaliger Schauspieler namens Rudolf Klinger - entpuppte sich später als Denunziant, der die Lingens und Baron von Moresiczky an die Gestapo verriet.
Klinger war bei der Jupo (Judenpolizei). Im Juni 1942 half er einem jüdischen Bankier, der sich früher bei Lingens versteckt gehalten hatte, über die Grenze nach Ungarn zu gelangen, und genoss seitdem das Vertrauen der Lingens. Später im selben Jahr erfuhren die Lingens, dass einer ihrer jüdischen Bekannten, Alex Weissberg-Cybulski, ihre Hilfe brauchte. Weissberg-Cybulski lebte in Krakau im Versteck und wollte wissen, ob die Lingens ihm und einigen seiner Freunde helfen konnten, nach Ungarn zu gelangen. Klinger erklärte sich bereit, die Juden zur Grenze zu begleiten.
Im August 1942 schickte Weissberg-Cybulski zwei jüdische Ehepaare nach Wien - die Brüder Bernhard und Jakob Goldstein mit ihren Frauen Helene und Pepi - mit der Bitte, sie über die Grenze zu schaffen. Klinger brachte sie bis zur Grenze, lieferte sie jedoch in letzter Minute an die Deutschen aus und verriet auch die Menschen, die bei der Planung der Flucht geholfen hatten.
Am 13. Okrober 1942 wurden die Lingens und Baron von Motesiczky verhaftet. Kurt Lingens wurde mit einer Strafeinheit an die russische Front geschickt, wo er schwer verwundet wurde. Ella Lingens und Baron von Moresiczky wurden nach Auschwitz geschickt. Baron von Motesiczky starb am 25. Juni 1943 an Flecktyphus. Ella wurde im Lager als Ärztin eingesetzt, und in dieser Funktion gelang es ihr, einige Juden vor dem Tod in der Gaskammer zu retten. Sie überlebte einen „Todesmarsch" von Auschwitz nach Dachau und erlebte das Kriegsende.
Klinger, der Denunziant, wurde 1943 verhaftet, nachdem seine Auftraggeber beschlossen hatten, dass er ihnen nicht weiter von Nutzen war. Er wurde nach Auschwitz deportiert und kam dort um.
Am 3. Januar 1980 wurde Kurt Lingens, seiner Frau Ella Lingens-Reiner und Baron Karl von Morcsiczky von Yad Vashem die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern" verliehen.