Der Novemberpogrom

„Der Schlag kam von innen"

Josephine Bährs Abschiedsbrief

„Mein lieben Kinder! Mit schwerem Herzen muß ich Abschied von Euch nehmen… Es tut mir untröstlich Leid Euch diesen grossen Kummer aufbürden zu müssen…Meine letzten Gedanken seid Ihr u. mein über alles geliebter Mann."

Leopold und Josephine (geb. Roberg) Bähr lebten im niedersächsischen Bassum. Leopold war ein Rindfleischhändler und erhielt für seinen Militärdienst im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz, eine Auszeichnung, auf die er sehr stolz war. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Kurt (geb. 1910) und Ilse (geb. 1911).

1935 erkannte Ilse, dass ihre Zukunft nicht in Deutschland lag. Unter dem Einfluss ihres zionistischen Bruders schloss sie sich der Hachsharah (Pionierausbildung) in Westerbeck, Osnabrück, an. Im August 1936 kehrte Ilse nach Bassum zurück und verabschiedete sich von ihren Eltern, bevor sie nach Eretz Israel (Britisches Mandatspalästina) auswanderte. Kurt folgte ihr, aber ihre Eltern blieben in Bassum. 1937 heiratete Ilse den aus Solingen stammenden Hans-Josef, der ein Jahr vor ihr eingewandert war. Sie ließen sich in Pardes Hannah nieder und zogen später nach Kfar Warburg, wo sie in der Landwirtschaft arbeiteten.

Im Jahr 1933 lebten in Bassum etwa 30 Juden. In einer Urkunde aus dem Jahr 1937 wird Leopold Bähr als Vorsteher der jüdischen Gemeinde Bassum erwähnt. Im November 1938 lebten in Bassum nur noch sechs Juden.

Am 9. und 10. November 1938 wurden während des Novemberpogroms die Fenster und Türen der wenigen verbliebenen jüdischen Häuser eingeschlagen. Einheimische warfen Steine und richteten Chaos an. SA-Männer schleiften zwei jüdische Frauen durch die Straßen und sangen antisemitische Lieder. Leopold Bähr und zwei weitere jüdische Männer wurden noch in der Nacht verhaftet und aus dem Gefängnis Hannover nach Buchenwald gebracht. Leopold war damals 65 Jahre alt. Allein gelassen konnte Josephine die Demütigung und den Hass nicht ertragen. Die Inhaftierung ihres Mannes, die Plünderungen und die Zerstörung, die in der Stadt wüteten, waren für sie unerträglich und sie beendete ihr Leben am 11. November 1938 im Alter von 56 Jahren. Bevor sie Selbstmord beging, schrieb sie an ihren Sohn und ihre Tochter in Eretz Israel:

„Meine lieben Kinder, weint nicht, der Allgütige hat es so mit uns beschlossen… Meine letzten Gedanken seid Ihr u. mein über alles geliebter Mann.“

Einige Wochen nach seiner Verhaftung wurde Leopold aus Buchenwald entlassen und kehrte nach Bassum zurück. Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wurden drei Juden als in Bassum lebend aufgeführt. Einer von ihnen war Leopold. Im Oktober wurde Leopold nach Bremen überstellt und im November 1941 nach Minsk deportiert, wo er ermordet wurde.

Im Jahr 1999 übergab Ilses Tochter Ruth Leshem Gedenkblätter an Yad Vashem zum Gedenken an ihre Großmutter Josephine und ihren Großvater Leopold. Im Jahr 2002 schenkte sie den letzten Brief ihrer Großmutter dem Yad Vashem-Archiv.