Das Kinderheim in Blankenese, Hamburg
Das Haus auf dem Hügel am Ufer der Elbe

Im Januar 1946 wurden rund hundert 15- bis 16-Jährige aus dem DP-Lager Bergen-Belsen in eine Villa am Ufer der Elbe in Blankenese, einem Vorort von Hamburg, gebracht. Das Anwesen, das in den 1930er Jahren durch die nationalsozialistischen Behörden enteignet worden war, gehörte den Warburgs, einer jüdischen Bankiersfamilie. Nach dem Krieg wurde das Anwesen dem Joint zur Nutzung durch Holocaust-Überlebende überlassen. Es wurde ein Kinderheim eingerichtet, das zwischen 1946 und 1948 als Herberge und Transitpunkt für rund 300 Kinder und Jugendliche auf dem Weg nach Eretz Israel (Britisches Mandatsgebiet Palästina) diente.

Mit den Kindern der ersten Gruppe trafen aus Bergen-Belsen Betreuer, Pflegerinnen und Angehörige der jüdischen Brigade ein. Einige waren Lehrer, andere wurden erst aufgrund der Umstände dazu. Unter ihnen war Elijahu Ben Jehuda (Erich Stiefel), einer der Gründer des Kinderheims. Ben Jehuda kam im Oktober 1945 in Bergen-Belsen an:

„ Wir sahen unsere Aufgabe hauptsächlich darin, mit den Jugendlichen in der Schule zu arbeiten. Es gab dort eine Grundschule. … Was ihnen in der Schule in erster Linie fehlte, war der Geist von Eretz Israel, den wollten wir in der Schule vermitteln, das sahen wir als unsere Hauptaufgabe an. … Es war mir klar, dass die Atmosphäre in Bergen-Belsen der Erziehung der Jugend nicht zuträglich war. … Ich war einer von denen, die sagten, wir müssten die Jugend so schnell wie möglich da rausholen. … Es war ein geschlossener Ort. … Man brauchte eine Genehmigung, um zu gehen. … Nicht weit von Bergen Belsen, in der Nähe von Hamburg, gab es den Hof [sic] eines reichen Juden. … Und wir bekamen diesen Ort. Dann zog ein Teil der Jugendlichen von Bergen-Belsen nach Blankenese um. Ich war dort Direktor des Internats.”

Im April 1946 brach die erste Gruppe von Blankenese in Richtung Marseille auf und machte sich von dort aus auf der „Champollion" auf den Weg nach Eretz Israel. Die Angehörigen der Gruppe hatten Einwanderungszertifikate. Einer von ihnen, Matitjahu Zur, schrieb in seinem Tagebuch über die letzten Tage in Blankenese:

5. April 1946

„Wir verließen die Schule um 9 Uhr morgens, marschierten in einer Reihe durch die Straßen von Blankenese und sangen hebräische Lieder. [Elijahu] Ben Jehuda, in Uniform, marschierte an der Spitze, und am Ende Zwi [Taier, ein Lehrer der jüdischen Brigade], ebenfalls in Uniform. Alle sahen uns an, wie wir marschierten und auf Hebräisch sangen. Wir freuten uns sehr. Und wirklich, wer hätte ein Jahr zuvor daran gedacht, dass man in diesem verfluchten Land den Klang hebräischer Lieder aus dem Mund marschierender jüdischer Jugendlicher hören würde, angeführt von jüdischen Soldaten?”

Jizchak Tadmor (Hrsg.), „Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948“

Die Einwanderer ließen sich im Kibbuz Kirjat Anawim und im Kibbuz Dorot nieder. Eine Gruppe von acht Mädchen wurde in die Landwirtschaftsschule Mikwe Israel geschickt.

Nach der Abreise der ersten Gruppe blieben nur wenige Kinder im Heim zurück, aber nicht für lange Zeit. Neue Kinder begannen, in Blankenese anzukommen, hauptsächlich mithilfe von Bricha (Fluchthilfe-)-Aktivisten. Das Haus wurde von Abgesandten der Jewish Agency, Genia Schwadron und Chana Eisik, geleitet. An ihrer Seite arbeiteten LehrerInnen und Pflegerinnen, unter denen sich Holocaust-Überlebende und Mitglieder der jüdischen Brigade befanden. Während die Kinder der ersten Gruppe am Seder-Tisch in Marseille saßen, fanden sich die ersten Kinder der zweiten Gruppe zum Seder-Abend in Blankenese zusammen. Chaim Katz, einer dieser Jungen, erinnert sich:

„Im April 1946 nahm ich von meinem Bruder in Hannover Abschied und ging auf Empfehlung des Jüdischen Komitees in Hannover nach Hamburg. Bei meiner Ankunft dort fand ich ungefähr 15 Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren vor, von denen mir gesagt wurde, sie seien von der vorigen Gruppe verblieben, der ersten Gruppe, die sich einige Tage zuvor auf den Weg nach Eretz Israel gemacht hatte. … Ich richtete mich dort ein. Das Essen war köstlich und reichlich, und für einen „Kazetnik" [einen KZ-Insassen] , seit dessen Befreiung aus den Lagern Gerlitz und vorher Auschwitz noch kein ganzes Jahr vergangen war, spielte das Essen eine ausgesprochen wichtige Rolle. … Unmittelbar nach meiner Ankunft in Blankenese hatte ich das Glück, das erste Passahfest nach der Befreiung zu feiern! Die Worte „und jetzt freie Menschen" hatten nun eine reale Bedeutung, und ein „Fremder" - jemand, der es nicht erlebt hat – wird es nicht verstehen. Dies war ein Sederabend voll des Stolzes. Ausgerichtet wurde er von Soldaten der Jüdischen Brigade, die auch als Lehrer und Betreuer dienten.

„Kirschen auf der Elbe“      

Im Sommer 1946 wurde die jüdische Brigade offiziell aufgelöst, und bis März 1947 verließen ihre Angehörigen Blankenese. Im Mai 1947 brach eine Gruppe von 65 Jungen und  Mädchen in Begleitung der Erwachsenen über Holland nach Marseille auf und stach mit dem Schiff „Providence“ in See. Die Gruppe erreichte mit Chana Eisik den Kibbuz Hulda.