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„Wenn ich Brot habe, schicke ich dier"
Ein Kind schreibt an seine Mutter in Stutthof

Den Brief schickte Siegfried Rapaport an seine Mutter Siegfried Rapaport, ca. 1938 Gedenkblatt für Siegfried Rapaport, übergeben von seiner Schwester Varda

1938 wurde Familie Rapaport, die in Hannover wohnte, nach Polen deportiert. Die Polen weigerten sich jedoch, die Familie aufzunehmen, und sie wurde umgehend nach Deutschland zurückgeschickt. Der Vater, Moritz-Moses, wurde eingesperrt, die Mutter, Miriam, erkrankte und wurde in ein Krankenhaus eingewiesen. Die vier Kinder der Familie gingen Tag für Tag vom Krankenhaus zum Gefängnis, um ihre Eltern zu besuchen. Schließlich wurde der Vater nach Polen deportiert, wo sich seine Spuren verlieren. Die Tochter Resi (heute Varda) wurde nach England geschickt, in der Erwartung, ihre Geschwister würden sich ihr anschließen, doch die in Deutschland verbliebenen Familienangehörigen wurden nach Riga deportiert. 1944 wurde Paul, der jüngste Sohn, nach Auschwitz, Miriam und ihre Kinder Paula und Siegfried nach Stutthof deportiert.

In Stutthof wurde Siegfried von Schwester und Mutter getrennt, doch es gelang ihnen, mittels Briefen, die sie im Lager hin- und hergehen ließen, Kontakt zu halten. Einer dieser Briefe blieb erhalten und wird im Archiv von Yad Vashem aufbewahrt. So schrieb der elfjährige Siegfried an seine Mutter:

„Liebe Mutti, wie geht es dir? Ich habe deine 2 Briefe erhalten. Gesund bin ich. Du hast doch kein Bauchwe mer. Mutti, ich glaube das du Brot brauchst. Ich gehe nach Block 3. Ich habe für mich grade genug. Also mach dir über mich keine sorge. […] Hoffentlich sind wier bald zusammen. Wenn ich Brot habe, schicke ich dier, das weist du doch, Mutti."

Hinter dem alten Papier und der kindlichen Schrift zeichnet sich Siegfrieds Persönlichkeit ab: ein Kind, das für die Gesundheit und die Bedürfnisse seiner Mutter Sorge trägt, das Sehnsucht hat und Trost spendet; ein Kind, das unter den Bedingungen eines Konzentrationslagers zum Ernährer und zur Stütze wird – erwachsen vor der Zeit. Weiter schreibt er:

„Mutti schick mir bitte Schreibpapier darum hab ich nicht geschrieben. Unser Block wird in diesen Tagen vergast. Mutti, daher habe ich das Papier. Das wird alles verklebt und da habe ich mir Papir geklaut."

Der Brief ist auf einem schmalen, langen Papierstreifen geschrieben. Laut der Zeugenaussage der Schwester Varda meinte Siegfried die Desinfektion des Blocks mit Gas. Das zu desinfizierende Gebäude markierte oder versiegelte man anscheinend mit Papierstreifen, die auf Türen und Fenster geklebt wurden. Der noch existierende Streifen ist ein weiteres Zeugnis für Siegfrieds Sehnsucht nach seiner Mutter und für seine Findigkeit – er nutzte die Gelegenheit, die sich während der Desinfizierung des Blocks ergab, um seiner Mutter zu schreiben.

Den Brief unterschrieb Siegfried mit den folgenden Worten:

„Mutti, sei geküßt. Grüße Paula. Wir werden bald wider Kartoffel Backen in Schneiderei 5."

Sein Traum, wieder mit seiner Mutter und seiner Schwester vereint zu werden, ging nicht in Erfüllung. Siegfried starb 1945 auf einem der Todesmärsche der Männer, die Stutthof verlassen mussten. Seine Mutter starb etwa zwei Wochen nach ihrer Befreiung an Typhus. Paula überlebte und gab den Brief ihrer Schwester Varda Cohen, die ihn dem Yad Vashem Archiv übergab.