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Der Novemberpogrom
„Der Schlag kam von innen"

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Einleitung

„Das deutsche Judentum war so tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt, dass der Schlag des Nationalsozialismus es von innen traf."
Prof. Walter Zwi Bacharach
DER NOVEMBERPOGROM
Eine Zerstörte Synagoge in Koenigsbach, Deutschland, nach der Pogromnacht, 10. November 1938

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen in Deutschland mehr als 1.400 Synagogen in Flammen auf. Tausende von jüdischen Geschäften und Betrieben wurden ausgeraubt und zerstört. Der gängigen Zählung zufolge wurden im Laufe des Pogroms 91 Juden ermordet. In den darauffolgenden Tagen wurden etwa 30.000 jüdische Männer von der deutschen Polizei verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald gebracht. Hunderte von jüdischen Gefangenen kehrten nicht aus diesen Lagern zurück.

Der Pogrom, der von den nationalsozialistischen Machthabern als spontane Reaktion der aufgebrachten deutschen Bevölkerung auf den Tod Ernst vom Raths, des dritten Sekretärs der deutschen Botschaft in Paris, dargestellt wurde, der zwei Tage zuvor von dem jüdischen Jugendlichen Herschel Grynszpan erschossen worden war, war in Wirklichkeit von verschiedenen Stellen der NSDAP mindestens seit Sommer 1938 geplant worden. Schon damals wurden systematisch Listen der Juden angelegt, die verhaftet werden sollten, und in den drei Konzentrationslagern wurden zusätzliche Baracken zu ihrer Unterbringung errichtet. Die Vorbereitungen zum Pogrom bildeten den Höhepunkt der Eskalation der anti-jüdischen Politik des nationalsozialistischen Regimes im Jahr 1938, eines Prozesses, der aus Sicht der Nationalsozialisten ein untrennbarer Bestandteil der Kriegsvorbereitungen war.

Das Feuer der Ausschreitungen wurde großteils von Joseph Goebbels entfacht, der hinter dem stand, was als „spontane Aktionen" von Partei-Organisationen an verschiedenen Orten deklariert wurde. Die Lenkung des Pogroms stellte für Goebbels, der mit „stillschweigender Zustimmung" Hitlers agierte, eine Gelegenheit dar, sich mit der Entscheidungsfindung in dieser Angelegenheit zu profilieren. Goebbels, der den Verlauf des Pogroms in seinen Tagebüchern beschrieb, bezog sich auf das, was er als die Notwendigkeit sah, den Zorn der Massen auf die Juden sich entladen zu lassen. Weitere Akteure der nationalsozialistischen Regierungsspitze – allen voran die SS sowie Hermann Göring, der als der Hauptverantwortliche für die Formulierung der antijüdischen Politik Deutschlands zu dieser Zeit gilt – waren sich dieser Vorgänge bewusst und nutzten sie zur Förderung ihrer Interessen aus. Wie Heydrich im Februar 1939 anmerkte, begründeten die Ereignisse des Novembers die Notwendigkeit, gegen die gesamte jüdische Bevölkerung vorzugehen. Tatsächlich führten sie dazu, dass die SS von diesem Zeitpunkt an unter der Schirmherrschaft Görings das Monopol auf die Behandlung der „Judenfrage" erhielt.

Die öffentliche Zerstörung von Synagogen an sich war keine Erfindung des Novembers 1938. Bereits in den Monaten vor dem Pogrom kam es vor, dass die Synagogen kleinerer Gemeinden an „arische" Besitzer übergeben wurden, die sie in manchen Fällen zu Scheunen und Ställen machten, während andere in Brand gesteckt wurden. In München, Nürnberg und Dortmund wurden bereits im Juni, August und September 1938 Synagogen gesprengt und zerstört. In diesen drei Städten versammelten sich deutsche Einwohner rings um die Synagogen und feierten öffentlich deren Zerstörung. Was neu und charakteristisch für die Reichspogromnacht war, war die Systematik, mit der innerhalb einer einzigen Nacht die Synagogen im gesamten Reichsgebiet in Brand gesteckt wurden, was symbolisch das Ende der jüdischen Präsenz im deutschen öffentlichen Raum verkündete. Der Angriff auf die Juden ermöglichte es den Randalierern, ihren aufgestauten Hass auf beinahe jede beliebige Art zu entladen. An verschiedenen Orten, wie zum Beispiel in Regensburg, wurde das Pogrom von öffentlichen Erniedrigungen oder sogenannten „Schandmärschen" begleitet. In München, wo die Ausschreitungen nach einer Hetzrede von Goebbels ausgebrochen waren, brachen die Randalierer in ein jüdisches Haus ein und ermordeten einen Juden in seinem Bett. In Köln gingen organisierte Gruppen von einer jüdischen Wohnung zur nächsten und warfen verschiedene Gegenstände, wie Bettzeug, Grammophone, Schreibmaschinen und sogar ein Klavier aus den Fenstern. In Baden-Baden zwangen die Randalierer einen ortsansässigen jüdischen Lehrer vom Lesepult der Synagoge Ausschnitte aus „Mein Kampf" zu lesen. Danach setzten sie die Synagoge in Brand.

Die zentrale Stellung der Reichspogromnacht in der Geschichtsschreibung und im kollektiven jüdischen und deutschen Gedächtnis rührt daher, dass sie einen Wendepunkt in der Geschichte der Juden in Deutschland sowie in der antisemitischen Politik des Regimes und in der Einstellung der deutschen Gesellschaft gegenüber den Ereignissen darstellt. Die Zerstörung der Synagogen in Städten wie Worms und Regensburg, in denen jüdisches religiöses Leben bereits im Mittelalter existiert hatte, signalisierte das Ende der jüdischen Präsenz im deutschen Raum. Diese Tendenz zeigte sich auch darin, dass die nationalsozialistischen Behörden in den Tagen nach dem Pogrom die Schließung zahlreicher jüdischer Organisationen und Publikationsorgane betrieben, die jahrzehntelang in Deutschland aktiv gewesen waren und auch in den ersten Jahren des Regimes ihre Tätigkeit aufrechterhalten hatten. Die Masseninhaftierung von 30,000 Juden in Konzentrationslagern kennzeichnete den Abschluss der Wende von der Politik der Isolation und Ausgrenzung der Juden, die die Nationalsozialisten seit 1933 betrieben hatten, hin zu einer brutaleren Politik der Vertreibung und erzwungenen Emigration. Im Januar 1939 nahm in Berlin die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung" unter der Leitung von Adolf Eichmann ihre Tätigkeit auf und übertrug die Politik der erzwungenen Auswanderung, die seit dem Sommer 1938 in Wien ausgearbeitet worden war, auf die Gebiete des „Altreichs". Man muss einen weiteren Wendepunkt darin sehen, dass diese Aktionen sich in aller Öffentlichkeit, vor aller Augen abspielten: die deutsche Zivilbevölkerung wurde jetzt direkt mit der antijüdischen Politik des Naziregimes konfrontiert.

Die Synagoge wurde niedergebrannt, mehr als 11 jüdische Geschäfte wurden zerstört, 130 Privatwohnungen verwüstet und 46 jüdische Männer nach Buchenwald deportiert.
Die Gemeinde in Worms zählte 1933 etwas mehr als 1000 Mitglieder. Ein Teil von ihnen schaffte es noch vor Kriegsausbruch, in Nachbarländer zu fliehen, die jedoch später meist ebenfalls von den Deutschen besetzt wurden. 37 Juden wurden im Oktober 1938 nach Zbąszyń (Bentschen) deportiert. Keiner von ihnen kehrte zurück. Deportationen in die Lager im Osten begannen im März 1942. Ingesamt wurden bis 1945 439 Wormser Juden ermordet. Als die Amerikaner im März 1945 in Worms einmarschierten, lebte kein einziger Jude mehr in der Stadt.

Die Novemberpogrome und die Deportationen in den Osten bedeuteten das Ende der jüdischen Gemeinde in Regensburg, der ältesten in ganz Bayern. Die erste schriftliche Erwähnung von Juden in Regensburg geht ins 10. Jahrhundert zurück. Schnell entwickelte sich die Gemeinde zu einem Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit und ist u.a. verbunden mit den Namen der Talmud-Kommentatoren Rabbi Jizchak ben Mordechai (Ribam) und Rabbi Ephraim ben Jizchak („Ephraim der Große“). Letzterer war auch für seine liturgischen Dichtungen („Pijjutim“) bekannt, die in ganz Deutschland als unübertrefflich galten. Ende des 12. Jahrhunderts gründete Rabbi Jehuda ben Schmuel ha-Chasid („Jehuda der Fromme“) in Regensburg eine berühmte Jeschiwa und veröffentlichte sein wohl bekanntestes Werk, das „Buch der Frommen". Jehuda der Fromme war einer der bedeutendsten Vertreter der „Chaside Aschkenas", einer mystisch-spirituellen Bewegung im Mittelalter.

Die angeblich spontanen Ausschreitungen wurden von Propagandaminister Goebbels mit einer antisemitischen Rede vor Gauleitern im Alten Rathaus von München angestachelt. Im Anschluss zog die aufgehetzte Menge los, zerstörte die Fenster jüdischer Geschäfte und steckte sie zum Teil in Brand, verwüstete jüdische Wohnhäuser und ermordete einen Juden polnischer Staatsangehörigkeit in seinem Bett. Die „Ohel Jakob"-Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße wurde niedergebrannt, und die Kosten für den Abriss der Ruine wurden der Kultusgemeinde auferlegt. Nach dem Novemberpogrom fiel die Anzahl jüdischer Bürger fast um die Hälfte. Lebten 1937 noch 8713 Juden in München, so waren es 1939 nur noch 4535. Die meisten von ihnen wanderten in andere Länder Europas aus, aber auch nach Eretz Israel (Mandatsgebiet Palästina) und Amerika.

Von einer eigentlichen jüdischen Gemeinde kann im Grunde erst ab dem 19. Jahrhundert die Rede sein. Das Judenedikt von 1808 und die Emanzipation öffneten die Tore Badens, und langsam siedelten sich Juden an. Die erste Synagoge in Baden-Baden wurde 1899 eingeweiht.

1933, im Jahr der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler lebten in Baden-Baden 260 Juden, von denen allerdings bis 1938 65 die Stadt verließen. Die Synagoge wurde während der Reichspogromnacht niedergebrannt.

Die Aufräumarbeiten mussten von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde selbst durchgeführt werden. Dabei wurden sie von Passanten und Schaulustigen beobachtet. Eine jüdische Gemeinde besteht in Kassel seit dem 13. Jahrhundert. 1808 bestimmte König Jérome Bonaparte, ein Bruder Napoleons, per Dekret, den Juden seien dieselben Rechte und Freiheiten einzuräumen wie den übrigen Untertanen. Die rechtliche Verbesserung der Juden führte zu einem starken Anwachsen der Gemeinde.
1933 lebten 2301 Juden in Kassel. Während des Novemberpogroms wurden nicht nur hunderte jüdischer Geschäfte demoliert und die Synagoge zerstört, sondern auch fast 300 jüdische Männer nach Buchenwald transportiert. Unter den Deportierten befand sich auch der Kasseler Landesrabbiner Robert Raphael Geis. Geis hatte bei Leo Baeck an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin studiert. Nach einigen Wochen Haft in Buchenwald verließ Geis Deutschland und gelangte nach Eretz Israel (Mandatsgebiet Palästina). Nach der Reichspogromnacht verblieben nur 1500 Juden in Kassel. Die Deportationen begannen am 6.12.1941 mit einem Transport von 470 Juden nach Riga. Im Laufe des Jahres 1942 verließen weitere Deportationszüge Kassel in Richtung Majdanek und Theresienstadt.

Die Synagoge im byzantinischen Stil in der Universitätsstraße wurde 1897 eingeweiht und bot Platz für mehr als 400 Menschen. In der Nacht des 9. November wurde sie von Marburger SA-Männern in Brand gesteckt. Die robusten Mauern des Gebäudes, die das Feuer überstanden hatten, wurden am darauffolgenden Tag gesprengt. Die Abbruchskosten musste die jüdische Gemeinde tragen. Während des Pogroms wurden 37 jüdische Männer verhaftet und nach Buchenwald deportiert.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Marburg geht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Ist bereits 1317 die erste Synagoge erwähnt, so waren die darauffolgenden Jahrhunderte von Pogromen und Vertreibungen gekennzeichnet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm die Anzahl der jüdischen Einwohner konstant zu, so dass gegen Ende des Jahrhunderts ungefähr 500 Gemeindemitglieder gezählt wurden. In diesen Jahren lehrte an der Marburger Universität Hermann Cohen, Mitbegründer des Marburger Neukantianismus und einer der bedeutendsten jüdischen Philosophen des 19. Jahrhunderts.
Im Dezember 1941 wurden 23 Marburger Juden nach Kassel gebracht und von dort nach Riga deportiert. 54 weitere Juden wurden im Laufe des Jahres 1942 in zwei Transporten in andere Lager im Osten geschickt.

Die Synagoge wurde 1882 eingeweiht und blieb bis zu ihrer Zerstörung während des Novemberpogroms von 1938 das spirituelle Zentrum der orthodoxen Gemeinde.
Erstmals urkundlich belegt wurden Juden in Frankfurt im 11. Jahrhundert. Die ersten Jahrhunderte waren durch einen Wechsel von Pogromen und Privilegien gekennzeichnet. Im 15. Jahrhundert musste die jüdische Bevölkerung die Stadtmauern verlassen und sich in der sogenannten „Judengasse" ansiedeln. Dies war der Beginn der Einrichtung eines abgeschlossenen Ghettos. Trotz radikaler Einschränkungen entwickelte sich die Frankfurter Gemeinde vom 16. Jahrhundert an zu einer der bedeutensten in ganz Deutschland. Erst im 18. Jahrhundert wurde der Ghettozwang aufgehoben. Zu den bekanntesten Frankfurter Juden gehörte beispielsweise der Bankier Mayer Amschel Rothschild. Auch der Vordenker des Reformjudentums, Abraham Geiger, sowie der Begründer der Neo-Orthodoxie, Samson Raphael Hirsch, wirkten in Frankfurt. 1920 gründete Franz Rosenzweig das Freie Jüdische Lehrhaus, zu dessen Dozenten Martin Buber, Eduard Strauss, Ernst Simon und Siegfried Kracauer zählten.

Im Laufe des Pogroms wurden fast alle Synagogen abgebrannt, jüdische Schulen, Gemeindehäuser und Artzpraxen mutwillig beschädigt, jüdische Geschäfte gestürmt und verwüstet. Jüdische Institutionen wurden geschlossen, zum Teil auch in Brand gesteckt und ihr Besitz konfisziert. Dazu gehörten die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, das Rabbinerseminar, Archiv und Bibliothek der Gemeinde sowie das Archiv des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". Nach November 1938 war es nur einer einzigen jüdischen Zeitung, dem neugegründeten „Jüdischen Nachrichtenblatt", erlaubt, zu veröffentlichen.

Der Wiener Stadttempel wurde während des Pogroms am 9./10. November geplündert und verwüstet. Die erste jüdische Gemeinde in Wien ist ab dem 12. Jahrhundert nachweisbar. Im 13. und 14. Jahrhundert genossen die Juden Österreichs verhältnismäßig weitreichenden Schutz und Sicherheit, und in Wien etablierte sich eine wohlhabende jüdische Gemeinde. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage der Juden. Auf Befehl Herzog Albrechts V. wurde 1421 ein Dekret erlassen, das die planmäßige Vernichtung der jüdischen Gemeinden in Österreich durch Zwangstaufe, Vertreibung und Hinrichtung durch Verbrennen anordnete. Erst mit der Aufklärung wurde von Joseph II. ein Toleranzedikt erlassen, das den Juden bürgerliche Rechte zusprach. Die Gründung einer jüdischen Gemeinde sollte allerdings bis ins 19. Jahrhundert verboten bleiben.

Videozeugnisse

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