„Die Rehabilitation der Holocaustüberlebenden, der Lebenswille der Juden, war unglaublich. Die Menschen heirateten, nahmen eine Baracke und teilten sie auf in zehn kleine Zimmer für zehn Paare. Der Lebensdrang überwand alles - trotz alledem lebe ich, und ich habe sogar ein aktives Leben geführt."
(aus der Zeugenaussage des Holocaustüberlebenden Elieser Adler)
In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre existierten in Deutschland unter der Besatzungsherrschaft der Westmächte Displaced Persons-Lager für Holocaust-Überlebende und jüdische Flüchtlinge. Den Kern dieser Gruppe bildeten Überlebende der Konzentrationslager, die von den Alliierten auf deutschem Boden befreit worden waren. Zu diesen Überlebenden kamen innerhalb einiger Monate einige Zehntausend jüdische Überlebende hinzu, die bei Ende des Krieges in Polen verblieben waren. Danach schlossen sich ihnen auch jüdische Flüchtlinge an, die infolge der Repatriierungsabkommen aus der Sowjetunion nach Polen zurückgekehrt waren und sich entschlossen hatten, ihren Weg Richtung Westen zu den DP-Lagern fortzusetzen, nachdem ihnen die Dimensionen der Vernichtung des polnischen Judentums bewusst geworden und sie mit antisemitischen Erscheinungen konfrontiert worden waren, die mit dem Pogrom von Kielce im Juli 1946 ihren Höhepunkt erreichten. 1947 schlossen sich jüdische Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien den DP-Lagern an. Die Zahl der Displaced Persons, die in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands lebten, erreichte Anfang 1946 etwa 70.000 und stieg gegen Ende desselben Jahres, nach der großen Flucht aus Polen, auf etwa 180.000. Zusätzlich lebten etwa 50.000 jüdische Displaced Persons in DP-Lagern in Österreich und Italien. Die Gesamtzahl der jüdischen Displaced Persons erreichte ihren Höchststand von etwa einer Viertelmillion (davon etwa 190.000 in Westdeutschland) im Laufe des Jahres 1947. Sie fiel erheblich im Laufe des Jahres 1948 infolge der Gründung des Staates Israel und der Änderung der Einwanderungsgesetze der USA. Alle DP-Lager wurden bis 1950 geschlossen, bis auf ein letztes– Föhrenwald – das bis 1956 in Betrieb blieb. Der Großteil der Displaced Persons wanderte nach Eretz Israel bzw. in den Staat Israel aus, etwa ein Drittel von ihnen ging in die Vereinigten Staaten, und weitere Zehntausende ließen sich überall in Europa nieder. Andere schlossen sich den jüdischen Gemeinden an, die in Deutschland neu aufgebaut wurden.
In den ersten Monaten nach der Befreiung stellten die jüdischen Displaced Persons Teil eines viel umfangreicheren Phänomens von Displaced Persons und Flüchtlingen dar und mussten manchmal sogar weiter hinter Stacheldrahtzäunen leben, Seite an Seite mit denen, die zuvor ihre Wächter und Peiniger gewesen waren. Ein entscheidender Wendepunkt im Schicksal der Flüchtlinge, die in der amerikanischen Besatzungszone in Süddeutschland lebten, ereignete sich infolge der Empfehlungen Earl Harrisons, des Beauftragten des US-Präsidenten Truman für die Lager. Infolge dieser Empfehlungen wurden die jüdischen Displaced Persons als Gruppe mit besonderen Bedürfnissen anerkannt, sie wurden in gesonderte Lager verlegt und erreichten eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sowie ein hohes Maß an Autonomie. Die Verbesserung wurde unter anderem dadurch herbeigeführt, dass die Amerikaner jüdischen Hilfsorganisationen aus den Vereinigten Staaten (allen voran dem Joint) sowie Aktivisten aus Eretz Israel ermöglichten, in den Lagern aktiv zu werden. Diese verbesserten Bedingungen führten zu einem beträchtlichen Wachstum der Bevölkerung der Displaced Persons in der amerikanischen Besatzungszone, wohin die überwiegende Mehrheit der jüdischen Flüchtlinge aus dem Osten seit 1946 geströmt war. In der britischen Besatzungszone, wo die jüdischen Displaced Persons hauptsächlich auf das Lager Bergen-Belsen konzentriert waren, herrschten weit weniger angenehme Verhältnisse.
Das Leben in den Lagern im besetzten Deutschland war in den Augen der überwiegenden Mehrheit der jüdischen Displaced Persons eine zeitlich begrenzte Regelung – das Lager war eine Art „Wartesaal", in dem sie lebten, bis sich ihnen die Gelegenheit bieten würde, Deutschland und in den meisten Fällen auch Europa überhaupt zu verlassen. Ihr Leben im besetzten Deutschland stellte, wenn sie auch nicht vollkommen von der deutschen Umgebung abgetrennt waren, eine Art Mikrokosmos einer ethnisch-jüdischen Umgebung dar, die sich unter außergewöhnlichen Bedingungen entwickelt hatte. Diese provisorische Lebensrealität, zusätzlich zu dem post-traumatischen psychischen Zustand der Überlebenden und Flüchtlinge, führte zum Entstehen problematischer Erscheinungen wie einem Schwarzmarkt und Reibungen mit dem Umfeld und den Besatzungsbehörden. Doch daneben entwickelte sich in den Lagern ein intensives inner-jüdisches Leben.
In den DP-Lagern entstand eine autonome jüdische Verwaltung, in der verschiedene jüdische Parteien aktiv waren – säkulare und religiöse, zionistische und sozialistische – das Erbe des intensiven politischen Lebens des polnischen Judentums vor der Zeit des Holocaust. Dennoch führten das Trauma des Holocaust und der Einfluss der zionistischen Aktivisten aus Palästina dazu, dass das politische Leben in den DP-Lagern von einer starken Dominanz des Zionismus geprägt wurde. In Bayern, dem Aufenthaltsort der meisten jüdischen Displaced Persons, war auch ein Zentralkomitee der Displaced Persons aktiv, das demokratisch gewählt wurde und das Ziel verfolgte, die Gesamtheit der Displaced Persons in der amerikanischen Besatzungszone zu vertreten.
Der Lebenswille vieler der Displaced Persons, allen voran der jungen, zeigte sich in einer Vielzahl von Lebensbereichen. So zeichnete sich die Bevölkerung der Lager durch eine sehr hohe Ehe- und Geburtenrate aus – ein Phänomen, das in deutlichem Gegensatz zur umgebenden deutschen Bevölkerung stand, die damals unter einem großen demografischen Rückgang litt. In den Lagern fanden vielfältige und reichhaltige pädagogische und kulturelle Aktivitäten statt, vor allem auf Jiddisch. Es wurden Sportveranstaltungen abgehalten, und es erschien ein breites Spektrum an Zeitungen und Zeitschriften in jiddischer Sprache. Das starke politische Bewusstsein vieler Bewohner der Lager und ihr Bestreben, Deutschland zu verlassen, in erster Linie in Richtung Eretz Israel, kam in der Tätigkeit der „Hachschara"-Kibbutzim, die ihre Mitglieder auf die Einwanderung nach Eretz Israel vorbereiteten, zum Ausdruck. In den DP-Lagern in der amerikanischen Zone wurde auch Pionierarbeit auf dem Gebiet der Erforschung der Shoah und ihres Gedenkens geleistet: Erste Zeugnisse von Überlebenden wurden eingeholt, schriftliche Dokumente gesammelt und Gedenkveranstaltungen für die Opfer der Shoah abgehalten.
In den ersten Monaten nach Kriegsende gab es in den DP-Lagern fast keine Kinder unter 5 Jahren, und nur 3 Prozent der Überlebenden waren Kinder und Jugendliche im Alter von 6-17 Jahren. Die meisten Überlebenden hatten ihre gesamten Familien verloren, und mit dem Gefühl der Einsamkeit und des Verlusts entstand der Wunsch, eigene Familien zu gründen. So kam es nach der Befreiung zu einem regelrechten Heiratsboom. In einigen Lagern fanden sogar Gruppenhochzeiten statt, und nicht selten kamen die frisch Vermählten aus unterschiedlichen Ländern. Die Neugeborenenrate in den DP-Lagern in den Jahren 1946-1948 war die höchste auf der ganzen Welt. Die medizinische Betreuung der Neugeborenen und der jungen Mütter stellte eine der wichtigsten Aufgaben dar und wurde in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen durchgeführt.
Die Erzieher in den DP-Lagern sahen sich mit schweren Problemen konfrontiert, zu denen der Analphabetismus unter den Schülern, Konzentrationsschwäche und der Mangel einer einheitlichen Unterrichtssprache gehörten. Zusätzlich mussten sie sich darum kümmern, den Glauben und das Vertrauen in die Erwachsenenwelt, die die Kinder und Jugendlichen während des Krieges verloren hatten, wieder aufzubauen. Nicht nur das Vertrauen war ihnen während der Kriegsjahre verloren gegangen, sondern oftmals ihre gesamte Kindheit. Durch die Schrecken des Holocaust waren sie über Nacht erwachsen geworden. Die Überlebenden stammten aus den verschiedensten Ländern Europas und hatten entweder wegen des Krieges nie die Möglichkeit gehabt, etwas zu lernen, oder sie hatten ihre Fertigkeiten während der Kriegsjahre eingebüßt. Hinzu kam ein Mangel an Klassenräumen, Schulbüchern, Heften und anderen Hilfsmitteln. In den meisten DP-Lagern gab es zu Beginn keine professionell ausgebildeten Lehrkräfte; allerdings wurden bald kompetente Lehrer aus Eretz Israel, den Vereinigten Staaten und England geschickt. Neben den Standardfächern wie Lesen, Schreiben und Mathematik wurden auch Hebräisch, jüdische Geschichte und die Geographie von Eretz Israel in den Lehrplan aufgenommen. Die orthodoxe Gemeinde sorgte für die Gründung von Jeschiwot. Neben der Erziehung der Kinder wurde auch die Ausbildung der Jugendlichen organisiert, die zum Ziel hatte, diese auf ihr zukünftiges Arbeitsleben vorzubereiten. Sie umfasste Näh- und Schneiderkurse, Hebräischstunden und landwirtschaftliche Ausbildungen.
In den DP-Lagern etablierte sich schnell ein reges kulturelles Leben. Für viele bedeuteten kulturelle Aktivitäten eine Art spiritueller Rehabilitation, die in der Gründung von Orchestern und Theatergruppen ihren Ausdruck fand. Viele sahen in der Tatsache, dass das Wiederaufleben der jüdischen Kultur ausgerechnet auf deutschem Boden geschah, einen Ausdruck persönlicher Vergeltung. Auf den Bühnen wurden klassische jiddische Werke präsentiert, die Erfahrungen der Ghettos und Konzentrationslager verarbeitet und dem Traum von Eretz Israel Ausdruck gegeben. Besonders wichtig war für die Überlebenden in den DP-Lagern die Herausgabe jüdischer Zeitungen, in erster Linie in jiddischer Sprache. Nachdem die meisten Lagerinsassen während des Krieges fast völlig von jeder Information abgeschnitten gewesen waren und ihnen auch die Möglichkeite gefehlt hatte, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, begann schon kurz nach der Befreiung eine rege Schreibtätigkeit. Dies war umso beeindruckender, als Papier streng rationiert wurde und Schreibmaschinen kaum zu finden waren. Fast jedes DP-Lager hatte seine eigene Zeitung, in der neben Erfahrungsberichten der Überlebenden und Suchanzeigen auch Artikel über Sport, Heirats- und Geburtstanzeigen, politische Berichte aus den DP-Lagern sowie Nachrichten aus aller Welt und Eretz Israel veröffentlicht wurden.
Die Wiedergeburt des orthodoxen Judentums fand seinen Ausdruck u.a. in der Errichtung von Yeshivot. Religiöse Schulen wurden unter anderem in Bergen-Belsen und Föhrenwald gegründet. Die jüdischen Feiertage boten nicht nur Anlass zu Zusammenküften und Festlichkeiten, sondern stellten in erster Linie die Wiederaufnahme der religiösen Traditionen im Leben jedes einzelnen nach dem Holocaust dar.
Nach der Befreiung stellte sich bei vielen Überlebenden das Bedürfnis ein, ihre Erlebnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dies bezog sich einerseits auf die Schrecken der Shoah, die zum Teil niedergeschrieben und in den Zeitungen der DP-Lager veröffentlicht wurden. Zum anderen wollten die Überlebenden ihren zerstörten Gemeinden ein Denkmal setzen und fassten ihre Erinnerungen in Form von „Jiskor"- (Gedenk-) Büchern zusammen. Gleichzeitig wollte man der Ermordeten gedenken und errichtete Grabsteine an Massengräbern und Gedenksteine für die Opfer, die keine Gräber hatten. Der Umgang der Überlebenden mit dem Gedenken an den Holocaust schwankte zwischen traditionellen jüdischen Gedenkriten und der Herausbildung neuer Formen des Gedenkens.
Neben politischen und kulturellen Aktivitäten wurden in den DP-Lagern auch Sportvereine gegründet und Wettkämpfte organisiert. Die Sportveranstaltungen waren für die Überlebenden von großer Bedeutung, da sie zum einen ihre Selbstständigkeit und Willenskraft hervorhoben und zum anderen die Rückkehr zur Normalität bedeuteten. Jede DP-Zeitung schloss einen Sportteil ein, und an den Litfaßsäulen waren ständig neue Ankündigungen und Einladungen zu Sportaktivitäten zu finden.
Für die meisten Überlebenden war ihre jüdische Identität nach dem Holocaust ein existentielles Problem. Nach den Schrecken des Holocaust verstanden sie, dass sie nicht länger als unerwünschte Minderheit existieren konnten. Für dieses Problem gab es nur eine Lösung – den Zionismus. Die Dominanz des Zionismus gegenüber anderen politischen Richtungen, die vor dem Krieg verbreitet waren, lässt sich auch dadurch erklären, dass die Zionisten als einzige ein Programm hatten, dass nach der Katastrophe des Holocaust sinnvoll schien; zudem waren sie organisiert und aktiv. Auf der ersten zionistischen Konferenz der DP-Lager nach dem Krieg in Bayern wurde gefordert, die Diaspora in Europa endgültig aufzulösen und die Einwanderung nach Eretz Israel voranzutreiben. Zusätzlich sprach man sich radikal gegen die Immigrationseinschränkungen der Briten in Eretz Israel aus.
Eine wichtige Aufgabe bei der Vorbereitung auf die Einwanderung nach Eretz Israel kann den Kibbutzim zugeschrieben werden. Diese führten in vielerlei Hinsicht die Tradition zionistischer Kibbutzim und Hachscharot fort, die zwischen den Weltkriegen in erster Linie in Polen aktiv gewesen waren, und stellten kollektive Zusammenschlüsse jüdischer Jugend dar, die in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gemeinschaft lebten.
Die Kibbutzim waren oft Teil der DP-Lager, aber ihre Mitglieder lebten in separaten Einheiten und waren sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Ziel der Kibbutzim war es, ihre Mitglieder auf die Alija nach Eretz Israel vorzubereiten. Dazu gehörten Hebräischunterricht, Kurse über die Geschichte Eretz Israels und landwirtschaftliche Ausbildung. Der erste Kibbutz dieser Art war der Kibbutz Buchenwald, der im Sommer 1945 gegründet wurde.