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Inklusive Angebote im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim

Markus Rachbauer

Markus Rachbauer, geb. 1979, studierte Politikwissenschaft in Salzburg. Er ist Mitarbeiter im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und hier u.a. für pädagogische Aufgaben zuständig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die NS-„Euthanasie“, Medizingeschichte und Zwangsarbeit.
 

  1. Vgl. Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Inklusives Gedenken – Eine qualitative Studie zur Wahrnehmung des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim durch Menschen mit Beeinträchtigungen, Linz 2017,  Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes Kepler Universität Linz, Videobericht zur Studie „Inklusives Gedenken“, 2017, . siehe hier
  2. Unter Mitarbeit von Monika Gebetsroither-Hartl, Petra Hansche, Gabriele Kainberger, Andreas Kerbler und dem Verfasser. Der vorliegende Beitrag basiert in Teilen auf einem Abschlussbericht der Projektgruppe.

Im Jahr 2003 wurde im Schloss Hartheim in Alkoven (Oberösterreich) der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim eingerichtet. Er erinnert an die Zeit des Schlosses als nationalsozialistische Tötungsanstalt, in der rund dreißigtausend Menschen mit Behinderungen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, KZ-Häftlinge sowie psychiatrierte zivile Zwangsarbeiter*innen mit Kohlenmonoxyd ermordet wurden. Im Schloss befinden sich heute zwei Ausstellungsbereiche: Die Gedenkstätte beleuchtet die Geschichte des Ortes, vor allem in der NS-Zeit. Die Ausstellung „Wert des Lebens“, die 2021 nach einer Neukonzeptionierung wiedereröffnet wurde, widmet sich dem gesellschaftlichen Umgang mit Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen als „unbrauchbar“ und/oder von der Norm abweichend betrachtet wurden - und auch heute noch werden. Ein zentraler Fokus des Ortes liegt somit auch auf der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. 
Im Zusammenhang mit dem Anspruch des Ortes, Fragen zur Gegenwart und aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen aufzuwerfen – dies kann in diesem Ausmaß innerhalb der österreichischen Gedenkstättenlandschaft gewiss als Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden – versuchte man schon Anfang der 2000er Jahre, auch selbst Akzente im Hinblick auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu setzen.
Bei der Gestaltung der Gedenkstätte und der Ausstellung „Wert des Lebens“ wurde – ausgehend von den damaligen Möglichkeiten – versucht, Barrieren zu vermeiden, wobei in punkto völlig barrierefreier Zugänglichkeit der Ausstellungsinhalte weiterer Aufhol- bzw. Verbesserungsbedarf bestand. 2020/21 wurde für die nun baulich weitgehend barrierefreie Gedenkstätte und die neu gestaltete Ausstellung „Wert des Lebens“ in Kooperation mit dem Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KII) in Linz eine Handy-App, mit der Ausstellungstexte in leichter Sprache, Gebärdensprache und in Fremdsprachen abgerufen bzw. gehört und gelesen werden können, sowie eine barrierefreie Homepage geschaffen. Zudem bietet der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim auch Broschüren zu den Inhalten der Gedenkstätte und der Ausstellung in leichter Sprache sowie in Braille-Schrift an. Die Materialien und Texte in leichter Sprache wurden vom KII mit der TÜV-zertifizierten capito-Methode auf ihre Barrierefreiheit geprüft und mit dem Leicht-Lesen-Gütesiegel ausgezeichnet.

Menschen mit Behinderungen bzw. Lernschwierigkeiten werden – auch in Österreich – erst in jüngerer Zeit als mögliche Zielgruppe eines Besuchs von Gedenkstätten bzw. Museen wahrgenommen. Eine Hürde stellte lange Zeit einerseits die bauliche bzw. ausstellungsarchitektonische Gestaltung vieler Museen, auch im Gedenkstättenbereich, dar. Die Vermutung liegt nahe, dass aber auch (unausgesprochene) Ängste bzw. Vorbehalte (etwa in Hinblick auf eine mögliche Überforderung mit dem Thema oder eine mögliche Identifizierung mit den NS-Opfern) von betreuenden Angehörigen der Menschen dieser Zielgruppe bzw. von Vertreter*innen von Betreuungseinrichtungen ein zentrales Hindernis für den Besuch einer Gedenkstätte und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit waren und teilweise noch immer sind. Hier wiederum ist ein Zusammenhang mit dem allgemeinen Umgang der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit der NS-Zeit augenscheinlich. Die NS-Verbrechen waren in Österreich in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein Randthema, eine breitere gesellschaftliche Auseinandersetzung begann erst sehr spät (in den 1980er Jahren), auch die Opfer der NS-Euthanasie und -Eugenik wurden lange Zeit ignoriert und verschwiegen. Ein möglicherweise gut gemeintes Bewahren von Menschen vor dem Wissen über die Schrecken und die Gräueltaten der Vergangenheit dürfte so in einer Bevormundung von Menschen mit Behinderungen gemündet sein. Eine selbstständige Entscheidung für oder gegen eine Auseinandersetzung blieb verwehrt. Dabei besteht bei Menschen mit Behinderungen, wie etwa in einer Studie von Studierenden der Johannes-Kepler-Universität Linz in Kooperation mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim 2016/17 belegt wurde, durchaus Interesse an einem Gedenkstättenbesuch bzw. einer Auseinandersetzung mit dem historischen Ort. Im Zuge der Studie wurde von den befragten Menschen auch die Bedeutung der Freiwilligkeit und der guten Vorbereitung des Gedenkstättenbesuchs betont.1

Im Rahmen der Bemühungen des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim zur Förderung der Inklusion arbeitete eine Projektgruppe2 unter Beteiligung von Vertreter*innen der Zielgruppe seit 2018 an einem pädagogischen Angebot für Besucher*innen mit Lernschwierigkeiten. 2021 wurde ein Konzept für eine Begleitung durch die Gedenkstätte und die Ausstellung „Wert des Lebens“ in leicht verständlicher Sprache (hier ist etwa der Verzicht auf Fremdwörter oder lange verschachtelte Sätze gemeint) fertiggestellt. Ein wichtiges Prinzip dabei war, dass den Besucher*innen ein Besuch „auf Augenhöhe“, der Interaktion, Selbstermächtigung und soziale Teilhabe befördert, ermöglicht werden soll. Um diese Ziele zu erreichen, wurden pädagogische (z.B. haptische und assoziative) Materialien entwickelt, die eine Kommunikation auf unterschiedlichen, auch nonverbalen Ebenen erlauben und zur aktiven Teilhabe durch die Besucher*innen, zu Kreativität und vielschichtiger Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen Themen anregen.

Die Dauer der Begleitung kann entsprechend den Bedürfnissen der Besucher*innengruppen in einer Dauer von zwei, drei oder vier Stunden festgelegt werden. Unabdingbar ist eine gründliche Vorbereitung des Besuchs auf die Themen des Ortes – für diesen Zweck bietet der Lern- und Gedenkort den Besucher*innen unterschiedliche Möglichkeiten an, zum Beispiel Kurzvideos, mit denen man einen ersten Einblick in den Ort bekommen kann. Die Schaffung von eigenen Vor- und Nachbereitungsmöglichkeiten für diese Besucher*innengruppen ist geplant.
 

Materialien und Methoden

Die Begleitung in leicht verständlicher Sprache in Hartheim umfasst die Gedenkstätte und die Ausstellung „Wert des Lebens“. Am Beginn des Programms steht ein Kennenlernen der Teilnehmer* innen in lockerer Atmosphäre. Durch das Sprechen über die persönlichen Interessen, das persönliche Leben der Besucher* innen, soll eine gemeinsame, vertraute, wertschätzende und Sicherheit gebende Ebene für den Besuch geschaffen werden. Während der Begleitung besteht für die Besucher*innen jederzeit die Möglichkeit, Hilfe oder Unterstützung seitens der Begleiter* innen des Lern- und Gedenkorts in Anspruch zu nehmen.

Bei der Begleitung kommen verschiedene Materialien und Methoden zum Einsatz: Gegenstände, die von Menschen im Alltag verwendet bzw. als Unterstützung gebraucht werden (z.B. Brille, Lupe, Computer-Maus), können als assoziatives Mittel für eine einleitende Diskussion eingesetzt werden.
 

Ein Zeitstreifen aus Stoff/Leder, auf dem verschiedene Zeitphasen des Schlosses in unterschiedlichen Farben markiert sind, dient zur Veranschaulichung der langen, wechselhaften Geschichte des Ortes. Der Zeitstreifen kann mit Jahreszahl-Karten und Fotos bzw. Objekten aus verschiedenen Zeitphasen des Schlosses (z.B. einem originalgetreuen Modell eines „Saurer“-Busses der Deutschen Reichspost zur Thematisierung der „Euthanasie“-Transporte nach Hartheim) ergänzt werden.

Unter Bezugnahme auf die Biografie bzw. das Schicksal eines Opfers der „Aktion T4“ sowie auf Symbole für dessen Habseligkeiten (Koffer, Nähmaterialien, Kochbuch etc.) werden zentrale Themen des Ortes behandelt: Die Entmenschlichung, Ausgrenzung, Ermordung von behinderten/psychisch kranken Menschen und KZ-Häftlingen im Nationalsozialismus, aber auch der Wert des Menschen und seiner individuellen Eigenschaften, die Individualität, Würde und das Recht auf Selbstverwirklichung können auf dieser Grundlage besprochen werden. Die Beschäftigung mit individuellen Lebensentwürfen ermöglicht Rückbezüge, auch zum Leben der Besucher*innen. Was macht uns, auch die Besucher*innen, als Menschen aus? Wer hat welche Interessen und Eigenschaften? Alle Menschen haben Rechte und Bedürfnisse, die zu berücksichtigen und zu wahren sind. Diese Rechte (Menschenrechte, Rechte von Menschen mit Behinderungen) sind mittlerweile in Gesetzen festgeschrieben und spielen im gesellschaftlichen Diskurs eine bedeutende Rolle.

Anhand der Biografie eines Opfers der „Sonderbehandlung 14f13“ (Mordaktion an KZ-Häftlingen) und der (sprachlichen aber auch materiellen) Gestaltung von Gedenktafeln im Schloss wird eine Auseinandersetzung mit dem Umgang von Familien von NS-Euthanasieopfern mit den Verbrechen sowie der gesellschaftlichen Erinnerungskultur im Allgemeinen möglich. Davon ausgehend kann etwa diskutiert werden, wie sich die Besucher*innen an jemanden erinnern bzw. welche Gedanken sie zu diesem Thema haben.

Die Ausstellung „Wert des Lebens“ bietet die Möglichkeit zu einer Auseinandersetzung mit zahlreichen unterschiedlichen Objekten/Themen mit Bezug zu Vergangenheit und Gegenwart: So kann etwa das Betrachten von Figuren, die Arbeitsfähige und Arbeitsunfähige in der Zeit der Industrialisierung symbolisieren, zum Nachdenken über diese Zeit und die Situation von Arbeitsunfähigen anregen. Die Pflege/Verwahrung von Arbeitsunfähigen kann durch eine Beschäftigung mit einer originalen Armentruhe mit zeitgenössischen Gegenständen thematisiert werden. Auch Rückschlüsse auf die heutige Lebenssituation von Menschen mit Behinderung sind hier möglich.

Ein weiteres wichtiges Thema in der Ausstellung ist die Psychiatriereform- und Behindertenrechtsbewegung ab den 1960ern, zentral erscheint hier der Aspekt der Selbstermächtigung von Betroffenen. In diesem Zusammenhang können von den Besucher*innen eigene Forderungen und Wünsche zum Thema Gleichberechtigung/Inklusion/Selbstbestimmung artikuliert und in Form von Texten oder Zeichnungen sichtbar gemacht werden.

Mit Blick auf verschiedene Objekte (z.B. Beinprothese, Brustimplantat) und auf ein Modell der menschlichen DNA, das von Menschen mit Behinderung künstlerisch angefertigt wurde, kann das Thema Optimierung behandelt werden. Als wichtiger Grundsatz, der auch vermittelt werden soll, erscheint uns hier: Jeder Mensch ist anders, hat seine Stärken und Schwächen. Dass wir alle unterschiedlich/vielfältig/anders sind, ist in Ordnung und so zu akzeptieren.

Der letzte Raum der Ausstellung „Wert des Lebens“ kann für eine abschließende Reflexion, und auch eine Auseinandersetzung mit Kunst von Menschen mit Behinderung (ebenso eine Form der Selbstermächtigung) genutzt werden.

Ausblick

Die Begleitung in leicht verständlicher Sprache hat sich als geeigneter Rahmen erwiesen, um Menschen mit Behinderungen bzw. Lernschwierigkeiten einen pädagogisch begleiteten Besuch des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim zu ermöglichen. Die Arbeiten an dem pädagogischen Format verstehen sich dennoch als „work in progress“ – künftige Erfahrungen in der praktischen Arbeit mit Besucher*innengruppen, aber auch weitere Diskussionen/Zusammenarbeit mit Vertreter*innen der Zielgruppe sollen in eine laufende Verbesserung des Angebots einfließen.